Plattenkritik: Jantra – Synthesized Sudan: Astro - Nubian Electronic Jaglara Dance Sounds from the Fashaga Underground (Ostinato Records)Von der Straße in die Zukunft der DJ-Kultur

Jantra – Synthesized Sudan: Astro - Nubian Electronic Jaglara Dance Sounds from the Fashaga Underground

Selbst in seiner Heimat Sudan ist der Musiker Jantra ein Unbekannter und so Underground wie es nur geht. Das Label Ostinato hat ihn entdeckt und macht mit seiner magischen und virtuosen Clubmusik nun auch uns wohlstandsverwahrlosten Sesselpupsern die Dance-Hölle heiß.

In Zeiten, in denen sich Tanzkultur respektive Clubkultur eher über TikTok-Raver:innen und andere verschrobene wie verschobene (Kommerz-)Diskurse definiert, ist die Frage berechtigt, wo auf der Welt denn noch das Unbekannte und Innovative lauert. In diesem Falle ist es dem Label Ostinato Records aus New York zu verdanken, den Künstler Jantra entdeckt zu haben, der in der Region Fashaga im Länderdreieck zwischen Sudan, Äthiopien und Eritrea Partys und spontane Straßenraves organisiert. Im ohnehin unkartierten Terrain des hierzulande popkulturell nahezu unbekannten Kontinents Afrika ist dieser Stil mit dem Namen Jaglara auch im Sudan bereits eine Randerscheinung. Der Keyboard-Magier Jantra baut seine PA auf, die Menge feiert am Straßenrand und das war’s. Jantra hat keine Social-Media-Accounts, hat weder Alben noch EPs veröffentlicht und produziert auch keine Musik im herkömmlichen Sinne.

Er spielt live mäandernde endlose Improvisationen für die Menschen in der Nähe seiner Heimatstadt Gedarif. Jantra hat für seine Musik sein Yamaha-Keyboard im Omdurman-Markt umbauen lassen, nur so bekommt er die schillernden kosmischen Skalen hin, die seinen Sound so besonders machen. Die Beats poltern polyrhythmisch, und man bekommt eine Vorstellung für die besondere Energie, die seine Sets vor Ort ausstrahlen. Bei Peaktime-Drops sollen hier auch mal Schüsse fallen, die mit Gewehren in den Himmel geballert werden. Auch wenn die Technologie aus Japan stammt und nach westlichen Vorstellungen produziert wurde, hat sich Jantra eine eigene Soundwelt gelötet und gebastelt. Das Album „Synthesized Sudan: Astro - Nubian Electronic Jaglara Dance Sounds from the Fashaga Underground“ ist ein Hybrid aus frühen Kassettenaufnahmen und Liveaufnahmen seiner Partys. Da Jantra keine herkömmlichen Songs oder Tracks schreibt, wurden die Tracks für diese Compilation eigens editiert und produziert. Während der Raves wurden vom Label Audiospuren, Rhythmen und MIDI-Spuren aufgezeichnet und später in das Format Track umgewandelt. So darf auch der Rest der Welt in die Erfahrung dieses einmaligen Sounds kommen, der zum einen LoFi und DIY, aber auch virtuos, super hypnotisch und rhythmisch anspruchsvoll wie fordernd ist. Eine großartige und den Horizont öffnende Arbeit. Wer übersättigt von formatierter Konfektionsware ist und sich immer wieder fragt, wo noch der wahre Geist der Musik, das Inspirierte, das Improvisierte und Dringliche, sein Unwesen treibt, wird hier nicht nur fündig, sondern auch geläutert. Hier gibt es viel zu lernen und zu bewundern. Vor allem gilt es hier, Körper jenseits langweiliger TikTok-Choreos zu bewegen und einfach mal hemmungslos zu schütteln.

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