Plattenkritik: Adrianne Lenker – Bright Future (4AD)Mindestens so wichtig wie Beyoncé

Adrianne Lenker Bright Future Cover

Die Singer-Songwriterin Adrianne Lenker kehrt in ihrem aktuellen Album zurück zu den Wurzeln amerikanischer Musikgeschichte. Das ist weniger eine politische Geste, als vielmehr ein Beweis ihres musikalischen Genies.

Country ist derzeit das Musikthema der Stunde, und das liegt nicht nur an Beyoncé und ihrem Tektonik verschiebenden Album „Cowboy Carter“, das ein wirklich gelungener und für die Mainstream-Welt wichtiger Wurf ist. Auch, weil Beyoncé das Schwarze Erbe der Musik betont, Narrative neu aufzeigt und den Sound dabei gekonnt großspurig und modern inszeniert. Country ist gewissermaßen die Songwiege des US-amerikanischen Pop. Beeinflusst von Blues und Gospel, ist es die Geburtsstunde des Singer-Songwriters und hat nicht nur amerikanischen Folk maßgeblich beeinflusst, sondern auch Rock’n’Roll und viele weitere Spielarten, die historisch folgten. Das übersieht man hier gerne und oft. Das liegt zum einen daran, dass man hier Country mit Truck Stop und Gunther Gabriel zusammen bringt und Country ein ähnlich hermetisches, wenn auch überirdisches Dasein in den USA fristet wie etwa der American Football. Auch wenn der Super Bowl hier mittlerweile zum Marketingspektakel geworden ist, aber um das eigentliche Spiel geht es dann doch nicht, eher um Taylor Swift, die teuren Werbespots und natürlich die Halbzeitshow.

Die Amerikanerin Adrianne Lenker ist auf unserem Medium eine alte Vertraute. Ihre Solo-Alben werden hier stets verehrt genauso wie ihre Band Big Thief. Das liegt einfach daran, dass Lenker eine der größten lebenden Songschreiberinnen ist. Und das wird mit jeder Veröffentlichung klarer und auch gewissermaßen angsteinflößender. Adrianne Lenker veröffentlichte 2006, im Alter von 15, ihr erstes Album. Rückblickend hätte daraus auch eine Karriere wie bei der eben schon erwähnten Taylor Swift werden können. Aber Adrianne Lenker ist für das große bunte Spektakel zu deep, zu verschlossen und gewissermaßen zu gut. Ihr aktuelles Album „Bright Future“ ist eine Reise zurück zu den Wurzeln des amerikanischen Songs. Der Stetson auf dem Kopf der 32-jährigen Künstlerin macht eine eindeutige Ansage. War ihre Musik bislang im zeitgenössischen Indie-Rock, modernen Folk und auch Elektronik zu verorten, zeigt sie mit „Bright Future“ Willen zur Konsequenz und zur Angreifbarkeit. So wie man sagt, dass es einfacher ist, in einer Nischensportart eine Medaille zu gewinnen als in einem Breitensport. Country ist so gesehen Breitensport, hat eine lange Geschichte und viele große Namen und Adrianne Lenker zeigt von der ersten Sekunde an, was für eine große Songwriterin sie war und im Laufe der Jahre zusätzlich geworden ist. Beim Opener „Real House“, das ihrer Mutter gewidmet ist, fällt es schwer auch nach mehrmaligem Hören nicht völlig ergriffen zu sein und Haltung zu bewahren. Der zweite Song „Sadness As a Gift“ markiert, worum es in ihrer Kunst eigentlich geht. Dass man Gefühle und Traurigkeit als Motor und Antrieb von großen Liedern sehen muss. Dies so kreativ umzuwandeln, ist in der Tat eine große Gabe. Die Aufnahmen rauschen und kratzen, die Bänder wabern. Die Texte sind literarisch und voller einnehmender Geschichten. Ein wirklich großes und wunderbares Album, das zeigt, wie wichtig die richtigen Lieder für die Welt sind.

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