Filter Tapes 025„Letter From An Old Friend“ von Takeshi Nishimoto

Filter Tapes 025 Nishimoto Illu

Takeshi Nishimoto ist ein umtriebiger Geist. Der Gitarrist wurde in Japan geboren, er hat lange in den USA gelebt und hat sich mittlerweile in Berlin niedergelassen. Neben seinen Solo-Produktionen, die seine Liebe für klassische Komposition ebenso dokumentieren wie sein Faible für ungewöhnliche Saiten-Instrumente, zieht Nishimoto Kraft und Inspiration vor allem aus der Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Musiker, die sich oft in ganz anderen Genres einen Namen gemacht haben. Das vielleicht bekannteste Beispiel: „I’m Not A Gun“. Aus der Arbeit mit der Techno-Legende John Tejada sind bereits fünf Alben entstanden. Oder auch Mike Shannon: Mit dem Elektronik-Produzenten aus Kanada und Macher der Labels „Cynosure“ und „Haunt Music“ hat Nishimoto „Blue Fields“ ins Leben gerufen, das zweite Album – „Swimming In The Shadows“ – ist vor wenigen Wochen erschienen. Bei „Blue Fields“ trifft oldschoolige Downtempo-Elektronika auf die Gitarren-Improvisationen von Nishimoto. Das Filter hat sich mit den beiden Wahlberlinern getroffen und sowohl den durchaus streitbaren Sound-Entwurf ihres Projekts seziert, als auch über das Filter Tape von Nishimoto gesprochen. Bei dem steht natürlich Nishimotos Lieblingsinstrument im Fokus: die Gitarre. Um die macht sich der Japaner nämlich Sorgen.

Bevor wir über das Filter Tape sprechen, das du ja allein gemacht hast, Takeshi: Lasst uns euer gemeinsames Projekt in den Blick nehmen, „Blue Fields“. Um es mal vorsichtig zu formulieren: Euer Sound ist nicht sonderlich zeitgemäß, wenn man sich die aktuellen Strömungen in der elektronischen Musik anschaut.

Mike Shannon: Das stimmt und das hören wir öfters. Ist mir aber auch egal, da bin ich egoistisch. Das Projekt hilft mir dabei, bestimmte Ideen oder Gefühle in Musik zu übersetzen. Das kann mal so, mal so ausgehen: Wenn jemand das dann mag, ist es umso besser. Wenn nicht, dann halt nicht. Wo und wie unser Projekt „reinpasst“, weiß ich auch nicht.

Takeshi Nishimoto: Das sehe ich ganz ähnlich. Ich arbeite regelmäßig mit ganz unterschiedlichen Musikern zusammen, Dinge gemeinsam zu schaffen, ist mir wichtig. Ich denke dabei gar nicht zwingend darüber nach, ob das nun veröffentlicht wird oder nicht. Mir fiel bei der Arbeit an diesem Album auf, dass wieder eine ganz andere Seite an mir plötzlich zu Tage trat. Und die musste offenbar raus.

Die neue Platte ist ein ziemliches Sammelsurium von Einflüssen und Referenzen. Ich kann da keinen präzisen Plan erkennen. Wie entsteht so etwas überhaupt?

Mike: Das ist genau der Punkt. Es gibt keinen präzisen Plan. Wir sind beide Musiker und spüren bei bestimmten Skizzen, dass die mit Input des Anderen besser werden könnten. Gerade weil wir aus so unterschiedlichen musikalischen Ecken kommen, ist das sehr inspirierend.

Nishimoto Shannon 01

Takeshi Nishimoto und Mike Shannon

Wie habt ihr euch überhaupt kennengelernt?

Takeshi: Das muss sieben Jahre her sein. Ein Kollege von mir, Adam Marshall, hat uns vorgestellt. Du hattest dein Studio bei mir um die Ecke, wir haben rumgehangen und gejammt.

Mike: Und ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein Album bei ~scape veröffentlicht, auf dem ich dieses Sound-Rahmen ungefähr abgesteckt hatte. Ich wollte weiterhin in diese Richtung arbeiten, merkte aber, dass ich Input von anderen Musikern brauchte und wollte, um das auf ein festes Fundament stellen zu können. Und Adam Marshall sagte: „Kennst du Takeshi Nishimoto, der spielt bald, geh’ da mal hin.“ Hab’ ich gemacht.

Takeshi: So entstand unsere erste LP. Das hat ewig gedauert, aber 2012 war sie dann fertig.

„Takeshi beherrscht eine Art der Improvisation, die ich nicht nur einzigartig finde, sondern auch gut zu meinem eigenen Flow im Studio passt.“ (Mike Shannon)

Mike: Ich kann an „Blue Fields“ auch nicht jeden Tag arbeiten. Im Kopf muss zuerst etwas klicken. Am besten funktioniert das, wenn der Berliner Winter seinen finsteren Höhepunkt erreicht. Ich kenne keinen Gitarristen, der so spielt wie Takeshi. Er beherrscht eine Art der Improvisation, die ich nicht nur einzigartig finde, sondern die auch gut zu meinem eigenen Flow im Studio passt, weil auch ich versuche, so frei wie möglich zu arbeiten und dabei oft Dinge entstehen, auf die nicht jeder problemlos einsteigen kann oder will. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, ich habe immer wieder mit Jazzern gearbeitet, dabei aber schnell gemerkt, dass die sich gar nicht ohne Weiteres öffnen können. Viele wissen zu genau, was sie wollen. Für mich ist es essentiell, meine Komfortzone immer wieder zu verlassen. Das gilt auch für Konzerte.

Du kennst dich ja im Techno-Tagesgeschäft gut aus, Mike.

Mike: Mir fällt schon auf, dass eigentlich jeder, egal ob DJ oder Live Act, wenn man diese Unterscheidung überhaupt noch machen will oder kann, praktisch immer auf Nummer sicher geht. Ist ja auch verführerisch: Die Tools sind mittlerweile einfach zu gut. Ein bisschen traurig ist das schon.

Gutes Stichwort. Kommen wir zurück zur Stimmung, die es braucht, um an eurem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Könnt ihr beschreiben, wie eure Musik für eure Ohren wirklich klingt? Ich höre ja vor allem vieles, was man früher als Downtempo-Elektronika beschrieben hätte. Und dieser Sound: Der ist echt over.

Mike: Ja, da kann man sehr schnell in gefährliches Fahrwasser geraten. Aber Takeshis Zutun verhindert meiner Meinung nach genau das. Wir passen eben nicht auf die Café-Del-Mar-Party. Gleichzeitig darf man auch nicht vergessen, dass es mittlerweile eine ganz neue Generation gibt, die die 90er nicht miterlebt hat und sich dieser Art von Musik ganz ohne Vorurteile nähern kann. Selbst den Stücken mit Gesang, die, das ist bislang ganz klar, der größte Reibungspunk auf dem Album sind. Für viele geht das gar nicht, andere wiederum finden genau die toll. Aber da bin ich wieder bei meinem Punkt von vorhin: Wenn eh alle nur noch auf Nummer sicher gehen, können wir mit unsere Platte doch zumindest zeigen, dass man es auch anders machen kann.

„Ich weiß wohl, was Downtempo ist, aber was man nun gemeinhin damit assoziiert und warum man bestimmte Sounds nicht mehr verwenden sollte: Dazu kann ich nichts sagen.“ (Takeshi Nishimoto)

Takeshi: Ich bin ja vor allem dankbar, dass die Platte wirklich fertig ist veröffentlicht wurde. Das war ein sehr langer Prozess. Im vergangenen Jahr hattest du ja schon eine version fertig gemacht, Mike. Und ich habe gesagt: Nein. Ist noch nicht soweit, da müssen wir nochmal ran. Jetzt bin ich happy. Und was den Sound angeht: Ich bin in der komfortablen Situation, diese Zeit nicht aktiv miterlebt zu haben. Natürlich weiß ich, was Downtempo ist, aber was man nun gemeinhin damit assoziiert und warum man bestimmte Sounds nicht mehr verwenden sollte: Dazu kann ich nichts sagen. Muss ich ja auch gar nicht. Wenn wir an Musik arbeiten, dann führen wir eine Art Dialog. Und wenn der spannend ist, dann mündet er in einem Track. Dass mir diese Diskussion über das Erbe der elektronischen Musik und etwaige Fettnäpfchen nicht viel bedeutet, merkt man ja auch an dem Mix, den ich gemacht habe. Da geht es um Gitarren. Das ist meine Welt. Und um die mache ich mir ein bisschen Sorgen.

Tracklist

  • I’m Not a Gun – Soft rain in the spring
  • Blue Fields – On The Stairs featuring Ilhem
  • Anouar Brahem – C'est Ailleurs
  • Takeshi Nishimoto – memory 4am
  • Jim Hall, Bill Evans – I got you under my skin
  • Bill Frisell, Ron Carter & Paul Motian – Eighty-One
  • John McLaughlin, Zakir Hussain, T.H. "Vikku" Vinayakram, Hariprasad Chaurasia – The Wish
  • Ben Monder – You are my sunshine
  • Blue Fields – The Hive
  • Miles Davis – Yesterday
  • Takeshi Nishimoto – apple tree
  • Ustad Ali Akbar Khan, Pandit Nikhil Banerjee, Pandit Mahapurush Mishra - Rag Manj Khammaj

Na hoppla.

Takeshi: Gitarrenmusik spielt in meiner Wahrnehmung einfach keine große Rolle mehr. Da hat sich etwas verschoben. Ich sehe das gar nicht zwingend als negativ an, das ist eher so eine Beobachtung. Das 20. Jahrhundert war geprägt von der Gitarre, heute geht es um einen anderen Sound. Dinge entwickeln sich, da kann man nichts gegen tun.

Inwiefern passt der Mix denn zum Album?

Takeshi: Eher auf den zweiten Blick vielleicht. Ich wollte einfach nur einen Mix mit Gitarrenmusik machen.

Falsche Antwort, danke fürs Mitspielen.

Takeshi: Naja, ich hoffe, dass sich die Verbindungen zu „Blue Fields“ schon beim genauen Hinhören ergeben. Das ist wieder so eine Frage der Stimmung. Es sind aber vor allem Tracks, die in mir viel bewegt und ausgelöst haben, als ich sie zum ersten Mal hörte. Vielleicht empfinden die, die den Mix hören, das ja ähnlich.

Das klingt so ein bisschen, als sei die Gitarre vom Aussterben bedroht. Um das zu verhindern, müsste man Kids ja eher Coldplay vorspielen und nicht Bill Frisell.

Takeshi: Aber bei Coldplay sind zu viele Vocals mit drin. Da hört man die Gitarre ja gar nicht.

Mike: Die Gitarre als Instrument ist ja auch mit vielen Klischees behaftet. Ich glaube, das ist auch ein Grund dafür, warum sie in bestimmten Kreisen so komisch wahrgenommen wird. Dabei wissen wir ja mittlerweile, was man damit alles machen kann und dass sie eben nicht so klingen muss, wie man das erinnert. Da ist doch noch Luft nach oben!

Blue Fields, Swimming In The Shadows, ist auf Haunt Music/Cynosure erschienen.

Für dieses Filter Tape gestaltete unsere Art Direktorin Susann Massute das Artwork. Die Aufgabe: Während der Zeit des Tape-Hörens ein Bild assoziieren, finden, ausdenken und umsetzen. Auch Mixtapes haben passende Bilder verdient. Vielen Dank, Susann!

Takeshi Nishimoto

Fotos: Bashar Galal

Mike Shannon

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