Fragmente einer GroßstadtDie Treppe ins Warme
20.1.2016 • Leben & Stil – Illustration & Text: Kristina WedelDie Sonne hat sich schon wieder fünf Tage nicht blicken lassen.
Aus dem Küchenradio dringen eisige Neuigkeiten des Terrors. Es ist Winter in Berlin, mir ist kalt.
Ich stelle mir vor, wie ich aufstehe, die Küche verlasse und ins Wohnzimmer gehe. Dort ist es schon mindestens zwei Grad Ceslsius wärmer, wenn nicht drei. Weit in den Raum ragt die Treppe, die über zehn Stufen hinauf führt. Hinauf, hinaus und hinein in die Auszeit – die paradiesische, warme, hügelige, weiche, sorgenlose, unberührte Landschaft. Sie macht meine blauen Lippen salzig und streicht mir mit ihrer Güte die Falten aus der Stirn. Jemand schneidet die Fäden durch, die meine Schultern bis jetzt nach oben gezogen hielten. Meine Lungen werden groß und weit. Ich vergesse …
… Das Vibrieren meines iPhones holt mich zurück auf die Dielen der Tatsachen. Den Anruf ignoriere ich erstmal und koche mir einen Tee mit Honig. Er macht meine Lippen süß.
Mir wird klar: Ich habe keine Lust mehr, mich zu beschweren – über Winter, über zu wenig Geld, über grummelige Menschen oder mich von täglichen Schlagzeilen in depressive Stimmungen ziehen zu lassen. Davon hat ja keiner was, am wenigsten ich selbst. Das klingt spirituell (ist es auch), aber meine kleine Treppe in die warme Fantasie ist immer im Raum, um mich kurz mal aus dem Alltag zu tragen. Wie hat schon Oma immer gesagt: „Ist dir kalt? Dann mach dir warme Gedanken.“