Fragmente einer GroßstadtDie Macht der Schreibblockade
12.10.2016 • Leben & Stil – Illustration & Text: Kristina WedelTabula Rasa. Ein leeres, weißes Blatt Papier, digital dazu eine leuchtende, weiße Fläche auf dem Bildschirm. Meine Kolumne wartet darauf, geschrieben zu werden. Ich warte auf eine Eingebung.
Wie groß muss der Respekt vor dem Schreiben sein, damit er Blockade heißt? Wie groß die Sorge davor, etwas Irrelevantes zu erschaffen, bis sie Lähmung ist? An dieser Stelle würde ich gern meinen Telefonjoker einsetzen und Harald Martenstein oder noch lieber Sibylle Berg anrufen. Wie sie es nur schaffen, immer wieder so verdammt lustig, schlau und absurd zu sein? Ich würde sie gerne fragen, was sie machen, wenn ihnen mal nichts einfällt. Auf welche Techniken des kreativen Schreibens sie zurückgreifen, um die Kanäle zwischen Hirn, Herz und Hand wieder zu öffnen. Ich könnte jetzt versuchen, sie tatsächlich zu erreichen. Das Muffensausen, Harald oder Sibylle an der Strippe zu haben, hält sich momentan sogar in Grenzen. Ich stelle mir das spaßig vor, wahrscheinlich sogar spaßiger als es tatsächlich wäre. Aber wahrscheinlich haben sie Besseres zu tun, als mich anzuhören und zu beratschlagen. Viel größer als das Muffensausen erscheinen mir der Aufwand und die Überredungskünste, die es mich kosten würde, ans Ziel einer gemeinsamen Telefonleitung zu gelangen. Und die hab ich gerade nicht: Ich muss ja schreiben.
Schreiben ist Auseinandersetzen. Den Fragenkatalog, den ich durchlaufe, ehe ich mich in meiner Kolumne mit einem Thema auseinandersetze, ist prinzipiell folgender:
1) Womit will ich mich gerade auseinandersetzen? Was bewegt mich so sehr, dass ich darüber schreiben kann und will? Für welches Thema habe ich die nötige Kraft, es anzugehen und aus meiner Perspektive zu durchleuchten?
2) Was von dem möchte ich mit der Welt teilen? Was ist nicht doch zu privat und entblößend? Was ist nicht zu verletzend oder beleidigend für meine Mitmenschen, über deren Gemüter und Verhaltensweisen ich hier und da auch einiges loszuwerden hätte?
3) Sollte nach Durchlaufen der Fragen eins und zwei nun überhaupt noch etwas übrig bleiben, stellt sich Frage Nummer drei: Was von all dem geht über mein eigenes Interesse – und vielleicht noch das meiner Mutter – hinaus? Was ist relevant?
Zugegeben, dieser Fragenkatalog ist nicht immer ermutigend. Manchmal tut man gut, die Frage nach der Relevanz hinten anzustellen. Die Öffentlichkeit außen vor zu lassen und für den Moment nur auf sich selbst zu blicken. An starken Tagen gelingt mir das sogar derart, dass der Text am Ende stark genug ist, um auch andere Menschen zu erreichen und zu berühren. Aber dennoch ist mein Wunsch nach etwas Kritischem, Größerem, Allumfassendem, Wahrheitssuchendendem einfach zu groß. Am Liebsten möchte ich nicht daher plänkeln und mit Gedanken plätschern, die niemand danach für sich weiterdenkt – oder anders denkt. Die nicht wenigstens die kleinste Reaktion auslösen und wenn es auch mal nur ein zustimmendes Schmunzeln ist.
Zu schreiben und geschrieben zu haben, kann unter Umständen ziemliche Glücksgefühle auslösen, just in diesem Moment überkommen sie mich. Vielleicht melde ich mich in zwei Wochen zurück, mit einer Kolumne über ein Telefonat mit Harald oder Sibylle. Hat jemand eine Nummer für mich?