Der CocktailkünstlerStephan Hinz und seine Vision der Bar-Zukunft

Cocktailkunst

Stephan Hinz aus Köln ist Mixologe. Er beschäftigt sich ausgiebig mit neuen Cocktail-Kreationen. Seine Mission: Küche und Bar sollen dichter zusammenwachsen. Darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben.

„Mixologe des Jahres“ und „Deutscher Cocktailmeister“ sind nur zwei der vielen Trophäen, die Stephan Hinz in seiner Vitrine stehen hat – und das, obwohl er gerade mal 26 Jahre alt ist. Sein Ziel: Er will die Trennung zwischen Küche und Bar überwinden, Erkenntnisse und Entwicklungen aus der Sterneküche ins Gästeglas bringen. Cocktailkunst heißt sein Projekt, mit dem er auf dieses Ziel hinarbeitet und bei Caterings und Event die Gäste mit Meerrettich, Lachs und Trüffeln in den Drinks überrascht. Oder mit „getrockneter Erde“ aus Schokolade, Ingwer, Galgant und Orange im Blumentopf serviert. Oder mit geräuchertem Eis zum Selber-Abschlagen. Er hat auch schon mal eine ganze Berliner Currywurst flüssig „nachbaut“ – diese Kreation findet sich auch in seinem jetzt erschienenen ersten Buch, das ebenfalls Cocktailkunst heißt und den Untertitel „Die Zukunft der Bar“ trägt.

Ein Seafood-Cocktail mit Gin-Lachs-Infusion und Crème-de-Mure-Perlen

„In der Küche wird schon seit Jahrzehnten mit immer neuen Techniken experimentiert“, so Hinz. „Dadurch entwickeln sich natürlich völlig neue Arten zu kochen und zu essen. Die Leute kaufen und bestellen saisonaler und interessieren sich zum Beispiel für Aromen aus der afrikanischen oder asiatischen Küche. Die Bar musste sich erst mal wieder auf ihre ursprünglichen Qualitäten besinnen und hat erst in den letzten Jahren wieder das Bewusstsein für hochwertige Zutaten und komplexere Aromen gefunden.“

Selbst wenn man nicht aus der Welt der Barkultur kommt – man braucht sich ja bloß umzuschauen, wie viele Orte in unseren großen Städten mittlerweile gute und ausgefallene Drinks servieren, ohne Schirmchen, krakeelende Süße und dem Mund am Glasrand keinen Platz lassender Obstgarnitur, dafür mit Basilikum, Gurken oder Salbei.

„Warum soll sich die Küche weiterentwickeln, aber die Bar nicht?“, fragt der Mixologe „Wenn ich weiß, wie ein Gin Tonic schmeckt, werde ich meine Wahrnehmung gar nicht mehr so besonders hinterfragen, ich trinke ihn einfach. Beim Essen schmecken viele Menschen wesentlich bewusster. Dieses Erlebnis möchte ich auf die Getränke übertragen.“

Hinz nutzt ungewöhnliche Trinkgefäße wie Reagenzgläser oder Muscheln, nimmt Zutaten wie Schinken oder Rote Beete und spielt mit Texturen in Schaum- oder Gelform mit allen Grenzen. „Bei den Gästen löst das erstmal ein Erstaunen aus und das schafft genau den richtigen Rahmen, um intensiver zu genießen.“

##Aprikosenmarmelade im Kühlschrank? Zeit für einen Cocktail.

Klingt spannend. Schmeckt auch so. Wenn es der Profi macht. Die eingangs erwähnte flüssige Currywurst durften wir uns auf einem Event mal von Hinz servieren lassen, und tatsächlich schmeckte das Ganze wie der Hauptstadt-Imbissklassiker, nur eben mit ganz anderem Mundgefühl. Wer schon einmal Molekularküche probiert hat, kennt diesen Effekt. Angenommen, ich kenne mich ein bisschen mit Kochen aus – wie schaffe ich dann den Sprung rüber zu kulinarischen Drinks im Hinzschen Sinne, ohne, dass dabei pseudokreativer Dilettantismus ins Glas oder ein zweckentfremdetes Behältnis gegossen wird? Durch Spontaneität und durch das Beachten von Grundlagen, so Hinz: „Beim Kochen sind wir oft viel freier und spontaner als bei Getränken. Fast niemand kocht streng nach Rezept. Ich habe noch ein bisschen Thymian oder etwas Paprika? Ab damit in den Topf! Es würde auch kein Rezept angeben, wie viel Gramm Salz man auf das Filet streut. Deshalb ist der erste Schritt beim Mixen, spontaner zu werden und mehr auszuprobieren. Die Aprikosenmarmelade im Kühlschrank? Zeit für einen Cocktail!“ Gemüse, Kräuter, Gewürze - fast alles lässt sich auch an der Bar verwenden.

Stephan Hinz

Bei der Arbeit: Stephan Hinz

Die Grundlagen für das spontane Variieren gibt´s im Buch. Wagt es sich weit hinaus an die Ränder der Mixologie-Welt, holt es seine Leser dennoch er erst einmal ganz am Anfang ab: Zutaten- und Warenkunde, Geschichte und Praxis, Aromatisierung und Filterung, Verkostungsanleitungen und eine selbst entwickelte „Harmonielehre“ zur Cocktailkreation, mit der sich Drinks schematisch aufbauen lassen, geben auch dem flüssig unbeschlagenen Verwender eine sichere Basis, seinen Kühlschranksbestand auf mixologische Brauchbarkeit abzuklopfen. Und das Bad: Ein leerer Seifenspender (gut auswaschen), Tequila (gute Qualität, Reposado) und Koriander – mehr braucht es nicht, um seinen „Rachenputzer“ zu mixen. Serranoschinken, Erdnussöl, Bourbon und Zuckersirup (lässt sich einfach selbst herstellen) plus Angustora Bitters (online bestellbar) ergeben seine Bacon & Barrel-Variation eines Old Fashioned, den sicher auch ein Don Draper wegen des rauchigen Aromen-Extras mit etwas mehr Aufmerksamkeit gekippt hätte.

„Wenn man dabei die Grundlagen einmal verstanden hat, steht der flüssigen Küche nichts mehr im Weg“, fasst Hinz zusammen. Wer Lust drauf bekommen hat: Cocktailkunst kostet 39,90 Euro und ist im Fackelträger Verlag erschienen. Hier durchblättern:

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PensumTexte zum Dancefloor, April 2014