This Is So Contemporary! Das Filter guckt Kunst# 8: „Everything Is Just for a While“ – 70 Jahre Berliner Festspiele
30.8.2021 • Kultur – Text: Matti HummelsiepBeim Stichwort „Berliner Festspiele“ horchen Kunst- und Musik-Interessierte kategorisch auf. Was es hier zu sehen bzw. zu hören gibt, ist oft keine leichte Kost, dafür jedoch umsichtig kuratiert und an der Jetztzeit angedockt. Diese wichtigen Impulse für das Weltverstehen von „heute“ haben eine lange Geschichte: 70 Jahre, um genau zu sein. Die Ausstellung „Everything Is Just for a While“ im Berliner Gropius-Bau blickt genau auf diese Geschichte zurück. Zwischen Wirtschaftswunder, Mauerbau und -fall und allem, was danach kam.
Eines vorweg: Die Reihe „This Is So Contemporary!“ bezieht sich ja eigentlich immer nur auf ein Kunstwerk, aber das ist bei diese Folge schlicht nicht möglich. Denn es geht um eine Rückschau auf 70 Jahre Festspielprogramm. Eine Rückschau auf 70 Jahre Festspielprogramm? Klingt nach ... och nö. Vor allem, weil man selbst nicht dabei war.
Dabei lässt der Titel der Ausstellung „Everything Is Just for a While“ erahnen, dass niemand alles auf dem Schirm haben kann. Und wie sich herausstellt, ist das ganz schön interessant, was in Berlin in Sachen Kunst und Kultur seit den 1950er-Jahren los war. Für die Ausstellung wurde vor allem Material aus öffentlich-rechtlichen und privaten Archiven durchsucht: dutzende Festplatten, hunderte VHS, Umzugskartons, gefüllt mit 16 und 35mm Film, Tonbänder, Schallplatten und Betamax Kassetten. Daraus wurden insgesamt 300 Minuten collagenartig und mit subjektiver Brille zusammengefügt: Performances, bizarre Theaterstücke, großartiger US-Jazz und Tap Dance, Diskussionen der Avantgarde, eine Rede von Martin Luther King Jr., Hildegard Knef, Alfred Hitchcock erzählt einen Witz, 1989, Brecht-Theater aus Syrien, kommunistische Ensemble, „Visual Music“ im Zeiss-Großplanetarium, Boxkämpfe, Rituale, Brian Eno in der Neuen Nationalgalerie (Eintritt: 4 DM, Sitzkissen zzgl. 1 DM).
Mit der Ausstellung ist ein sehr interessantes Spiegelbild Berlins, bzw. des jeweiligen Zeitgeistes entstanden. Beim Betrachten der drei großen Videoinstallationen wundert es kaum, dass die Ausschnitte teils extrem verdichtet und atemlos sind. Schlau inszeniert, weil man als Zuschauer am Ball bleibt. Kleiner Fun Fact des Kurators Thilo Fischer am Rande: Die Nutzung der Materialien musste selbstverständlich rechtlich bei den Urhebern abgesegnet werden. Bei Udo Lindenberg lief das so: Es gab einen Auftritt (1988) von ihm bei den Berliner Lektionen, einer Gesprächsreihe der Berliner Festspiele. Für die Genehmigung wollte er die VHS-Kassette direkt ins „Hotel Atlantic“ geschickt bekommen und nicht ans Management. Lindenberg gestattete die Freigabe mit der Nachricht: „is n toller beitrag, legér, locker, großzügige freigaben bitte udo ☘️❤️ 🎩.“
Berliner Festspiele
Alles begann am 5. September 1951 im Schiller-Theater in West-Berlin mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker und der 9. Sinfonie von Beethoven, gerade mal sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Im selben Jahr starteten die Internationalen Filmfestspiele Berlin.
Die Berliner Festwochen sollten ein „Schaufenster der freien Welt“ sein und waren somit eine kulturpolitische Entscheidung, da im selben Jahr in der noch jungen DDR die Weltfestspiele in Ost-Berlin stattfanden.
Über die Jahrzehnte entwickelten sich Formate für Jazz, avantgardistische Musik, Theater, Tanz, Medienkunst, Autoren uvm. 1967 wird der Name Berliner Festspiele eingeführt. Bis heute versteht sich diese Kulturmarke mit ihren Sektionen als Seismograf des Aktuellen, die das Extreme und Komplizierte sucht, in der Nische zu Hause ist, die für die künstlerische und politische Auseinandersetzung mit der Geschichte (aller Kontinente) lebt und dafür eine Plattform bietet.
Die Ausstellung
„Everything Is Just for a While“ läuft noch bis zum 17. Oktober im Berliner Gropius-Bau.
Der Eintritt ist frei – die Installationen zu den verschiedenen Epochen beginnen jedoch zu unterschiedlichen Zeiten. Bei der Buchung von Tickets ist dies zu beachten:
1951-1969: 10:05 / 14:30
1970-1979: 10:45 / 15:10
1980-1999: 12:15 / 16:40
2000-2021: 13:10 / 17:35
Öffnungszeiten: Mi bis Mo 10:00–19:00.