Terre Thaemlitz – LovebombSo war die Performance bei der Berliner MaerzMusik
24.3.2018 • Kultur – Text: Lili HeringSeit 2002 ist die MaerzMusik der Berliner Festspiele ein fester Termin im Kalender für alle Belange der Neuen Musik. Da sowieso niemand weiß, was sich hinter diesem Begriff wirklich verbirgt und die Grenzen zwischen E und U mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit verschwommen sind, wird jeden März in alle Richtungen gespielt, experimentiert und performt. Terre Thaemlitz passt perfekt in dieses Setting und bespielte das Festival gleich mehrmals: zum Beispiel als DJ Sprinkles, aber auch mit einer Performance des Albums „Lovebomb“ von 2003, das damals auf Mille Plateaux erschien.
Im Haus der Berliner Festspiele lässt es sich ebenso gut experimenteller Musik lauschen wie dem Palaver Wilmersdorfer Kunst-und-Kultur-Schickeria: Bevor Lovebomb beginnt, erklingen von Seiten der Sitznachbarn erst mal Anekdoten und Witze über doppelte Violinschlüssel und „diese tollen Hustenbonbons aus Weingummi“, die wie gemacht seien für Konzerte, da sie nicht an den Zähnen klapperten und beim Zuhören störten.
Während des Gequatsches tritt das Sonar Quartett in die Scheinwerferstrahlen. In Ashley Fures dekonstruiertem Streichquartett hören die Musiker und Musikerinnen ihre Instrumente mit Stethoskopen ab. Der Ton von Geigen, Cello und Bratsche wird elektronisch verstärkt, verwandelt, ergänzt. Sie spielen mehr mit der Materialität ihrer Instrumente als mit den Tönen, die sie ihrer Funktion nach erzeugen sollen: Es knarzt, kratzt, brummt, tickt und grollt, es entsteht eine Symphonie des Alltags. Immer wieder ist unklar, woher ein bestimmtes Geräusch kommt: aus dem Inneren des Instruments oder doch vom Band? Im Gegensatz zu gewöhnlicher instrumenteller Musik kann man der Musik hier nicht beim Entstehen zusehen und ihren Ursprung nachvollziehen – die Klangkörper bleiben gewollte Mysterien.
Und dann kommt Terre Thaemlitz mit MacBook, mit ihr auf die Leinwand projiziert: „Bourgeois vous n’avez rien compris“. Eine klare Ansage nicht nur an die Wilmersdorfer Schickeria, sondern an das ganze Publikum: Thaemlitz schwimmt am liebsten gegen den Strom, das ist zwar anstrengender, aber auch ehrlicher. Weder Musik noch Geschlecht der Musikerin, Produzentin und DJ soll sich eindeutig festlegen lassen – sie bewegt sich zwischen housiger Clubmusik, Jazz und digitalem Ambient ebenso fluide wie zwischen weiblich und männlich.
Thaemlitz hält wenig davon, Arbeiten neu zu bearbeiten und ihrer Zeit anzupassen – sie zeigt sie im Originalzustand.
Dass der Sound anfangs nicht funktionieren will, passt zur oldschool Powerpoint-Ästhetik der gesamten Performance. Lovebomb ist ein Sammelsurium an audiovisuellen Eindrücken: eine Musikperformance, oder viel eher die filmische Untermalung des Albums „Lovebomb / Ai No Bakudan“ das auf ihrem eigenen Label Comatonse Recordings erschienen ist, allerdings schon vor 15 Jahren. Thaemlitz hält wenig davon, Arbeiten neu zu bearbeiten und ihrer Zeit anzupassen – sie zeigt sie im Originalzustand. „So much music uses the theme of love, love is always thrown at us by the industry“, so die kritische Einführung. Thaemlitz möchte die Unmöglichkeit der Universalität von Liebe visualisieren, und wie Liebe als Rechtfertigung für Gewalt dient – in den Figuren des Terroristen in Liebe zu seiner Sache, der gewalttätigen Ehepartner oder auch der Bullies, die ihr Verhalten in Anblick ihres wehrlosen Opfers lieben.
All das bildliche Chaos, die konsequente, gewollte Überforderung aus schnellen Schnitten, Tönen, Loops und teils unlesbaren Texten ist natürlich Programm und Ziel – das Werk ist, wie auch ein Album, zum wiederholten Hören und Sehen gedacht. Im Moment ein gegenwärtiges, anstrengendes Kunstwerk, aber keines das vergeht: Es solle doch gerne immer wieder betrachtet werden, bis Details Sinn ergeben, so die Künstlerin. Was Thaemlitz anstrebt, ist wohl ein Universalismus der Liebeskritik: ein Hinterfragen von kulturellen und sozialen, hetero- und homosexuellen Normen, Ideen und Vorstellungen davon und die Erkenntnis, „love is not so much an emotion as an equation of contextually specific cultural variables“.
Wie trocken diese Definition auch klingen mag, die titelgebenden Lovebombs geben ihr Recht: Über den flimmernden Schwarzweiß- Fotos von Thaemlitz selbst als Jugendlichem steht Text, der so kurz nur zu lesen ist, dass er den Eindruck gibt, gar nicht gelesen werden zu wollen.
Lovebomb ist die Spucke seiner Peiniger, die Thaemlitz in seiner Jugend getroffen hat, gespiegelt in den kondensierten Wassertropfen die aus New Yorker Klimaanlagen an Sommertagen auf Spaziergänger tropfen und ihn noch Jahre später intuitiv zusammenzucken lassen um ihnen zu entgehen, als seien es dieselben Tropfen wie damals.
Der nihilistische Ansatz, dass Liebe eigentlich so ziemlich das Letzte ist, scheint in Zeiten, in denen sich in gewissen Kreisen ein gesellschaftlicher Konsens gebildet hat, dass love in Zeiten wie diesen unbedingt die answer sei (auf Trump, Mauern, Terrorismus, und so weiter), ist daher natürlich deprimierend, aber vor allem eins: wunderbar erfrischend.