Wie versprochen informieren wir euch an dieser Stelle regelmäßig über ausgewählte Episoden des Telekom Electronic Beats Podcasts – immer pünktlich zum Veröffentlichungsdatum der jeweils neuen Ausgabe. In den über 30 Folgen der Interview-Reihe hat sich dank der Moderator*innen Gesine Kühne und Jakob Thoene ein vielstimmiges Bild der Clubkultur entwickelt. In der aktuellen Ausgabe ist Leigh Sachwitz zu Gast. Die Berlinerin ist Gründerin und Kreativdirektorin des international renommierten Designstudios flora&faunavisions. Angefangen hat sie aber ganz woanders: als Visual Artist in heute längst verdrängten und doch legendären Clubs wie dem WMF, Icon und Frisör. Eine Pionierin der VJ-Kunst im Club.
Viele Karrieren, deren Weg im Berliner Techno-Umfeld der 1990er geebnet wurde, haben zwei Dinge gemeinsam. Zum einen den örtlichen Ursprung: Prenzlauer Berg. Zum anderen die engagierte DIY-Attitüde, mit der sich im ehemaligen Ostteil Berlins so manche Verrücktheit verwirklichen ließ. Im Herbst 1993 zog die in Schottland geborene Künstlerin und Unternehmerin Leigh Sachwitz nach einem Architekturstudium an der Glasgower School of Arts nach Berlin und fing ziemlich bald an, im Prenzlauer Berg erste Partys zu organisieren. Approved nannte sich die Reihe. DJs wie Mitch und Kriton legten auf. Berlin, vor allem das frühere Ost-Berlin, war an vielen Orten verlassen und bot viel Platz für improvisierte Clubs, Bars, Galerien und anderweitige Venues. Von Professionalität konnte – ganz anders als heute – keine Rede sein. Leigh ergatterte indes für wenige Mark alte Filmtechnik und Projektoren aus ehemaligen Ostbeständen am russischen Flohmarkt auf dem Potsdamer Platz. Zu der Zeit gab es dort weder Filmpaläste, Luxushotels noch Touristen-Attraktionen – am Potsdamer Platz Anfang der 90er war nichts. „Wir haben angefangen, Filme zu drehen oder alte Filme zu kaufen, um sie neu zusammenzuschneiden. So haben wir angefangen, auf den Partys Visuals zu machen“, berichtet Leigh in dem aktuellen Telekom Electronic Beats Podcast mit Jakob Thoene.
Aus den ersten improvisierten VJ-Gigs entstand eine VJ-Residency – erst im Icon und dann im WMF. Aus dem künstlerischen Experiment wurde ein Beruf. 1999 gründete Leigh die Firma flora&faunavisions. Zu genau jener Zeit also, als sich VJing zum integralen Bestandteil der Clubkultur entwickelte. Viele waren müde vom Kellermief eines Tresors, in dem nur Bassdrums und Stoboskopblitze einen undurchdringlichen Nebel durchschnitten. Das visuelle Gegenstück zum DJ-Set konnte Räume im Club ausgestalten und an der Seite der Musik eine ganz eigene Architektur erschaffen. Zeitgleich hatte das Musikvideo eine goldene Zeit. Man denke an die große Kunst von Chris Cunningham, Michel Gondry, Spike Jonze und Anton Corbijn. Auf VIVA Zwei bekamen VJs gemeinsam mit DJs in dem Format „2Step“ sogar ihre eigene Show. Für die Kombination Clubmusik und Video lief es einige Zeit lang sehr gut. Und in dieser Zeit konnten kreative Studios wie flora&faunavisions, aber auch die Pfadfinderei, die ebenfalls mit ihren Visuals im WMF bekannt geworden sind, sich international Renommee und Services aufbauen, die auch für Marken immer interessanter wurden.
„Ich gehöre zu den Designern, die sagen, es ist mir relativ egal, mit wem ich arbeite, solange ich mich austoben kann, das Projekt mich weiterbringt und die Arbeit gut funktioniert.“
Je größer der Hype um Visuals im Club zur Jahrhundertwende wurde, desto allmählicher stellte sich eine Sättigung ein. Längst nicht jeder Club hatte verstanden, worum es bei der Kombination aus Musik und Visuals eigentlich geht. Und statt eigenständige und kreative Visual Artists zu buchen, fingen Clubbetreiber an, mittels Beamer Sponsorenmaterial auf die Dancefloors zu werfen. Die teure DJ-Gage musste ja irgendwie bezahlt werden. Spätestens mit der Eröffnung des Berghains im Herbst 2004, das einen radikal musikfokussierten Duktus verfolgte, hatte es sich zumindest in Berlin fürs Erste ausge-VJ-t. Visual Artists spielten seitdem zumindest für den Clubbereich keine so wesentliche Rolle mehr. „Visuals sind heute normal geworden. Da ist viel Schrott dabei“, so Leigh Sachwitz.
flora&faunavisions arbeitet auch heute noch intensiv mit Musikern aus der elektronischen Tanzmusik zusammen. Das Studio ist für die Visuals der Tourneen von Paul Kalkbrenner verantwortlich und bespielt seit fünf Jahren die Residency von Solumun im Pacha Ibiza. „Ich gehöre zu den Designern, die sagen, es ist mir relativ egal, mit wem ich arbeite, solange ich mich austoben kann, das Projekt mich weiterbringt und die Arbeit gut funktioniert. Da macht es für mich keinen Unterschied, ob ich das für einen Club mache oder eine Modemarke“, erklärt Leigh Sachwitz ihren pragmatischen und zugleich erfolgreichen Ansatz. Die Liste der Kunden und Kooperationspartner liest sich exquisit und ist lang: Derzeit arbeitet flora&faunavisions mit dem Opernhaus Sydney zusammen, zuvor schon mit dem Royal Opera House in London. Auch mit der Hochkultur verstehen sich die Expertisen von flora&faunavisions offenbar blendend. Aber auch Premium-Autohersteller, Luxusmarken, Airlines und Kunstmessen wie die Art Basel und Art Dubai gehören zum Referenzportfolio.
flora&faunavisions feierte kürzlich das 20. Jubiläum. Was mit VHS-Tapes und dem Videomischpult MX-50 am Senefelder Platz anfing, ist zu einem multimedialen Studio mit 13 festen Mitarbeitern angewachsen, das heute mit 360-Grad-Projektionen, 3D-Mapping, Motion Design und zeitgenössischer Lichtkunst arbeitet. Oder wie Leigh sagt: „multimediale Experiences“. Erfahrt mehr über diese faszinierende Karriere in der aktuellen Folge im Telekom Electronic Beats Podcast. Dort findet ihr auch heraus, wieso Massive Attack eine so wichtige Rolle gespielt haben und wieso Leigh erst gar nicht nach zu Solomun nach Ibiza wollte.