Hochspezifisch, breit gefächertSo war das Meakusma-Festival
9.9.2022 • Kultur – Text: Kristoffer CornilsReturn to Eupen! Vom 1. bis 4. September erlebte die beschauliche Kleinstadt an der belgisch-deutschen Grenze einen Einwohnerzuwachs von satten fünf Prozent. Grund? Das Meakusma natürlich. Gut 1.000 Menschen, viele davon selbst Akteur:innen in den diversen dort vertretenen Szenen aus Belgien und der Welt, zog die erste Ausgabe nach drei Jahren an. Sie bekamen viel geboten – musikalische Abwechslung ebenso wie subkulturelle Clashes.
Beim Meakusma mustert man einander hart. Das mag daran liegen, dass es sich bei dieser restlos ausverkauften Ausgabe des Festivals um das erste große Klassentreffen seit dem Jahr 2019 handelt. Oder daran, dass hier Nischen aufeinander clashen, die sonst weitgehend voneinander getrennt existieren. Die a-musik-Gourmets und reiheM-Regulars aus Köln, die NTS-Suchtis aus aller Welt, Kids aus den Szenen für bassige oder avanciertere Arten von Clubmusik zwischen Berlin, Bristol und Brüssel, Improv-Nerds und Fans zeitgenössischer komponierter Musik sowie zwischendurch immer mal wieder ein paar Kinder und sogar Hunde: Sie alle bekommen über diese vier Tage hinweg etwas Besonderes geboten, musikalisch wie sozial.
Das spricht für die Ambitionen, aber auch die radikale Offenheit des im Jahr 2016 gestarteten Festivals, das erst der Pandemie wegen und dann aufgrund der Flutkatastrophe im vorigen Jahr nicht stattfinden konnte. Und das dies 2022 mit einem Programm wett macht, welches dermaßen ausufernd scheint, dass spätestens am zweiten von vier Abenden niemand mehr den Überblick zu haben scheint.
Das liegt auch daran, dass manche Acts glatt doppelt spielen, unter anderem weil Buchungen aus den Vorjahren nachgeholt wurden. Der mittlerweile in Halle gelandete Philipp Matalla beispielsweise feiert mit einem kurzen Set voller rougher Rhythmen am ersten Tag sein Live-Debüt und legt einen Abend später dann per DJ-Set die Einflüsse seines Industrial-schroffen Sounds und der HipHop-angelehnten Grooves offen.
Er ist einer von vielen an diesem langen Wochenende, die eine langjährige Beziehung zu dem bereits seit langer Zeit in Belgien aktiven Veranstalterkollektiv haben. Das Festival zieht sowieso viele aktive Szenemitglieder an. Selbst die Weinbar wird von Noorden-Betreiber Alex Ketzer geschmissen und an der Theke erzählen Festival-Alumni von ihrem ersten Gig dort. Diesmal besuchen sie das Meakusma regulär, sie haben den Tourbus im Camping-Bereich geparkt. Und auffällig viele der auftretenden Künstler:innen haben sich offenkundig den Tourplan freigehalten und bleiben das gesamte Wochenende.
Es herrscht, kurz gesagt, eine familiäre Atmosphäre auf diesem Festival. Wozu eben auch die schrägen Onkels und Tanten gehören, die mit diesem oder jenem Teil der Sippe nur selten in Kontakt stehen und jetzt aber über das Wochenende da sind, weil sich das einmal im Jahr eben gehört. Denn das Schaffen von Querverbindungen zwischen verschiedenen und nicht immer viel miteinander in Kommunikation stehenden Szenen ist ein zentrales Anliegen des Meakusma und macht es im Gesamten aus. Das gilt auch für regionale Artists, die nicht etwa pflichtschuldig ins Vorprogramm gebucht, sondern konsequent nach musikalischen Parametern zwischen gehypte internationale Acts kuratiert werden.
Vor einer Weile noch hatte sich Meakusma etwa mit dem Brüsseler Kunstverein Les Ateliers Claus und STROOM aus Ostend für eine Compilation zusammengetan, Acts beider Labels sind entsprechend dieser engen Bindungen immer wieder zu sehen. Als STROOM-Chef Nosedrip auf dem mit Perserteppichen ausgelegten Heuboden Trance auflegt, ist das fast durchgängig während des Festivals bespielte und aber eher kleines Venue dementsprechend knallend voll – Lokalikonen ziehen hier manchmal mehr als von weither angereiste DJs.
Überfülle ist nicht nur mit Blick ins Programmheft und in den Heuboden ein Problem. Der Alte Schlachthof in Eupen bietet charmebefreites Mehrzweckambiente, während dieser vier Tage nicht aber immer ausreichend Platz für die insgesamt knapp 1.000 Besucher:innen. Das immerhin wurde mitbedacht: Wer etwa zu spät zu YL Hooi oder dem Auftritt von Pavel Milyakov in den ebenfalls moderat dimensionierten Kesselraum kommt, muss es sich in einem Vorzimmer bequem machen – und hört dort immerhin glasklar die Sets aus dem Nebenraum, wofür mit eigens aufgestelltem Soundsystem gesorgt wurde.
Schwieriger wird es hingegen, wenn drei Busladungen Menschen darauf warten, zum samstäglichen Geheimtipp Humbros eingelassen zu werden und damit all jenen den Weg versperren, die sich nach einer Frischluftpause in Anschluss an James Ks trip-hoppigen Ambient wieder in die Halle drängeln müssen, wo Anthony Naples sich mit ruppigem Mixing von bratzigem Tech House zu atzigem Electro und schließlich slammenden Techno vorarbeitet.
Diese kleinen infrastrukturellen Problemchen zeigen allerdings auch: Hier wollen alle alles sehen. Und zwar mit gespitzten Ohren. Das Meakusma ist dafür bekannt, ein Sitzpublikum anzulocken, Ganz-genau-Hinhör-Menschen jeglicher Couleur, und muss tatsächlich nach dem ersten Tag per Social Media drum bitten, bei Befüllung der Räumlichkeiten aufzustehen und Platz für andere zu machen. Das funktioniert auch meistens, trotz taxierender Blicke wird hier einander insgesamt mit viel Respekt begegnet.
Selbst die härtesten Raver:innen sind beim Meakusma nicht etwa drei Tage wach und sich ihrer Umgebung nicht mehr bewusst, sondern einigermaßen ausgeschlafen, in einigen Fällen frisch geduscht und vielleicht nur zu spät dran, um tagsüber die kleinen Highlights außerhalb des Geländes des Alten Schlachthofs zu entdecken.
Natürlich wird auch das neu von Meakusma konzipierte Studio Néau, die frisch gebaute Homebase eines neuen regionalen Community-Radios, mit DJ-Sets und Talks bespielt und mit dem Jünglingshaus gibt es eine Location, die zum Beispiel Auftritte von Micaela Tobin alias White Boy Scream, und Andrea Parkins & Biliana Voutchkova für noch tieferes Listening beherbergt. Und im Museum IKOB und der Galerie vorn und oben trifft dann auch Sound auf Kunst.
Insbesondere die von Benjamin Fleig geleitete Galerie bringt effektiv auf den Punkt, was das Meakusma insgesamt ausmacht: Unten findet sich eine verspielte Installation von Daniel Jodocy, in der rotierende Objekte an Glasflaschen schlagen oder über eine an den Verstärker angeschlossene Gitarre gezogen werden – Klangkunst in seiner unprätentiösesten Art und Weise, verspielt und voller Liebe zu Sound, seinen Potenzialen und seinem kontingentem Zusammenspiel.
Oben läuft alle 20 Minuten eine knapp siebeneinhalbminütige Lichtklanginstallation von Mika Oki, die gemeinsam mit Sky H1 noch am Donnerstag für ein buchstäbliches Highlight gesorgt hatte. Fernab glitchiger 3D-Renderings sind ihre präzisen und feindosierten Lichteffekte zugleich Übersetzung von und Kommentar auf den Sound, ob nun auf der Bühne oder im Trockeneisnebel zwischen satten schwarzen Vorhängen.
Zwischen Jodocys perpetuum-mobile-mäßiger Objektwelt und den abstrakten Beamer-Lichtern Okis offenbaren sich jenseits des Festivaltrubels die zwei Extreme, durch deren Spannungsfelder sich dieses insgesamt bewegt oder besser gesagt reibungs- und scheinbar mühelos gleitet:
ungebundene Neugier auf andere Sounds und Strukturen hier, konzeptueller, tech-affiner Anspruch und Formstrenge dort. Das funktioniert zusammen prächtig, weil der Rahmen stimmt.
Stopps werden neben einem verlassenen Einkaufszentrum – ausladendes Line-up, einladende Atmosphäre: das Splitter Orchester – auch in der Friedenskirche in Eupens Stadtzentrum gemacht. Während Delphine Dora am Freitag die dortige Orgel für eine Art akustisches Dungeon-Synth-Set mit tatsächlich liturgisch anmutendem Gesang nutzt und Simon James Philips eher suchend als findend dessen Klangregister mit dröhnenden Akkorden erforscht, beweist das belgische Duo Lilly Joel am heiligen Sonntag, wie die Sache richtig gemacht werden kann.
Ihre polyglotten Stücke lassen sich vom Schaffen der Müsli-Innovatorin Hildegard von Bingen inspirieren und doch füllt das Duo diesen sehr alten Hut mit neuen Ideen. Es klingt, als hätten Kali Malone und Enya gemeinsame Sache und nebenbei noch ein bisschen elektroakustischen Krach gemacht. Die Kirche ist randvoll, anders als zwei Tage zuvor denkt niemand ans Gehen. Manche aber vielleicht ja wirklich an höhere Mächte – es wäre ihnen nicht zu verübeln.
Die lassen sich aber auch anderswo finden. Zum Beispiel in Richtung Food-Trucks und Campingplatz, wo der beeindruckende Boxenturm des 54 Sound die dort wachsenden Kürbisse für die Ernte – kein Witz: Besucher:innen dürfen sich bedienen, erklärt ein Schild – reif massiert. Ulrich Troyers satte Dubs, DJ Pleads ratternde Rhythmen und Felix Halls verrenkungsherausfordernde Twists zwischen Reggaetón und Dancehall lassen tatsächlich eine gewisse Open-Air-Stimmung aufkommen.
Eben die setzt einen weiteren Akzent gegen alle Bierernstigkeiten, zu denen konzeptionell ähnlich gelagerte Festivals gerne mal tendieren. Wie auch die wenigsten von ihnen wohl die Besucher:innen zum Teil in zu Schlafstätten umfunktionierten Holzhütten vom kleinstädtischen Weihnachtsmarkt unterbringen und das dann noch entsprechend musikalisch untermalen würden.
Sicherlich, es fühlt sich hin und wieder so an, als seien zu viele Menschen in das verschlafene Städtchen Eupen gepilgert. Und vielleicht kann das als Anlass genommen werden, für die nächste Ausgabe in eine größere Location umzusiedeln. Oder noch größer zu denken und einfach klein, das heißt die eine zentrale, zentralisierte Anlaufstelle für Ganz-genau-hinhör-Menschen jeglicher Couleur zu bleiben, die es gerne hochspezifisch und breit gefächert zugleich haben wollen. Das bekommen sie in dieser Form schließlich nur beim Meakusma auf diesem Level geboten.