7 Podcasts für euren Sommer 2021Die Hörtipps aus der Filter-Redaktion
9.7.2021 • Kultur – Text: Jan-Peter WulfDen Intro-Text, warum er im Urlaub und überhaupt lieber hört und liest, hat Jan-Peter Wulf nach kurzer Überlegung wieder gelöscht. Soll doch jede:r für sich selbst entscheiden. Wer jedoch in diesem Sommer am Strand, See, beim Wandern oder Warten auf den Überlandbus lieber zu den Kopfhörern als zum Kindle oder Buch greifen mag, für den hat er ein paar Podcast-Tipps. Mit leichter Urlaubs-Unterhaltung haben sie aber nicht so wirklich was zu tun. Es geht um Verschwörungen und rechte Ideologien bis hin zu Rechtsterrorismus, was unser Redakteur euch mit in die Sommerfrische geben will.
1. Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen
Fangen wir an mit dem Podcast-Hype der Stunde: Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen erklärt sich von selbst, es geht um den ehemaligen Radio-Moderator, dem der ganz große Erfolg verwehrt bleibt, der sich als eigener Sender neu erfindet und am Ende so was geworden ist wie der deutsche Alex Jones. Also ein komplett verwirrter (oder doch sehr bewusst handelnder?) Mensch, der hinter allem die große Verschwörung vermutet und ganz tief aus seinem Kaninchenbau sendet, bis ihm der Saft abgedreht wird. Was hat Russland damit zu tun? Der Sechsteiler (das Finale erscheint am kommenden Sonntag) von Khesrau Behroz, Pascale Müller und Sören Musyal geht der Sache auf den Grund, investigativ und nicht-reißerisch, zugleich in der Sprechform und im Aufbau ziemlich von US-Formaten inspiriert, was nichts Schlechtes heißen soll. Der Kritik, am Ende damit einen Personenkult um eine Person zu betreiben, der man am besten kein Gehör gibt, versucht die Serie sich zu entziehen, indem sie – auch das sehr US-Style – in jeder Folge einen anderen Schwerpunkt setzt und das Drumherum beschreibt, den Nährboden quasi, der Gewächse wie Jebsen hervorbringt. Ob das gelungen ist – hear for yourself.
2. Day X
Beim zweiten Podcast-Tipp will ich mich hingegen festlegen. Das ist schon jetzt für mich der Polit-Podcast des Jahres. Außer da kommt noch was. Man kennt das sicher: Man hört oder liest in einem ausländischen Medium etwas über eine deutsche Causa und versteht sie dann umso besser. Weil der Sachverhalt noch mal von Anfang an beschrieben und die Komplexität reduziert worden ist. Das ist bei Day X der Fall. Der Podcast der New York Times beschreibt den Komplex der neuen Rechten in Deutschland, der militanten, die sich auf den „Tag X“ vorbereitet oder vielmehr noch mit herbeiführen will. Der Erzählstrang windet sich um die Person Franco A., Teil des Hannibal-Netzwerks, das sich deutschlandweit für den Tag, der kommen wird, wappnet. Wer ist Franco A.? Was ist Hannibal? Wie konnte es dazu kommen, dass sogar der lange rechtsäugig blinde Verfassungsschutz nun ausdrücklich vor gewaltbereiten Rechten warnt?
Dem Team um Katrin Bennhold, einer in Osnabrück aufgewachsenen Journalistin, gelingt es, die Hörer*innen mitzunehmen und für das Thema zu sensibilisieren – und das, so vermute ich, dies- und jenseits des Großen Teichs, wo man seine ganz eigene Day-X-Community hat. Die teils unfassbaren O-Töne von Franco A., die Interviews mit Politiker*innen wie Claudia Roth und dem thüringischen Verfassungsschutz-Chef Stephan J. Kramer (macht einen erstaunlich kompetenten Eindruck), die journalistische Einordnung und nicht zuletzt die tolle Musik von Hauschka – das alles passt irgendwie sehr gut zusammen. Könnte nur sein, dass am Ende die Sonne am Strand etwas weniger hell zu scheinen scheint.
3. Deutsche Abgründe
Was sie spätestens dann tut, wenn man mit Deutsche Abgründe noch ein paar Stufen tiefer in den Keller steigt. Der Podcast entstand in Zusammenarbeit der SZ mit FYEO, einer Plattform mit durchaus spannenden Inhalten – z.B. der Podcast zum Berliner Spreepark oder zur Dauer-Hysterie in der österreichischen Politik, die in Ibiza gipfelte.
Letzteren hat Vinzent-Vitus Leitgeb mitproduziert und eingesprochen, der auch „Deutsche Abgründe“ zusammen mit Annette Ramelsberger recherchiert hat und hostet. Der ganze Wahnsinn des NSU-Komplexes in acht Folgen, vom inneren Trio über die Baseballschläger-Jahre bis zum Prozess und beyond. Es ist weniger eine chronologische serielle Form als vielmehr ein „Themenspecial rechtes Deutschland“, ähnlich wie bei „Day X“ und mit Abstrichen ähnlich wie bei „Cui Bono“. Ja, es stehen bestimmte Personen im Zentrum, aber die Peripherie, die ist nicht minder wichtig.
4. bis 6. Podcasts über Hanau, Halle und Dessau
Es wäre vermutlich einfach gewesen, das mit den furchtbaren Anschlägen in Halle und Hanau nach eben jenem Prinzip zu machen: True Crime 101, die (schlimme) Reise des (Anti-)Helden. Zum Glück verwehren sich 190220 – ein Jahr nach Hanau und Das Leben danach – Das Attentat von Halle diesem beide auf ihre Weise. Im ersten Fall kommen vor allem die Angehörigen, Freund*innen und Stadtmitbewohner*innen der Ermordeten zu Worte, es ist fast oral pocast history, was Sham Jaff und Alena Jabarine da gelungen ist. Der Halle-Podcast des MDR ist zwar relativ klassisch in der Struktur, ist dabei aber gründlich – und beschreibt auch einen fast vergessenen Nebenschauplatz des Anschlags mitsamt Verfolgungsjagd, dokumentierend, ohne dabei ins Reißerische zu verfallen. Wer dann noch „mag“, von Halle nach Dessau ist es nicht weit, sollte sich den Fünfteiler über Oury Jalloh anhören, der nicht viel zu deuten übrig lässt. Es war Mord. Auch wenn das seitens der Moderation, wenn ich mich recht erinnere, nicht explizit so gesagt wird. Muss es aber auch nicht.
7. Der Mann in Merkels Rechner
Starker, emotionaler Tobak alles. Technischer geht’s bei Der Mann in Merkels Rechner zu. Es geht um eine Ministeriums-Mitarbeiterin, die 2015 eine Mail bekommt. Eine Phishing-Mail, getarnt als Institutions-Korrespondenz, wie sich später rausstellt, und plötzlich sind die Hacker digitale Hausmeister im Bundesministerium. Eine Gruppe namens APT 28, auch fancy bear genannt, steckt dahinter. Das wiederum findet eine britische Fahndertruppe raus, die dann die deutschen Behörden warnt: Auf euren Systemen ist was faul.
Passenger List
Als Bonus zum Schluss das einzige Format, in dem Verschwörungen ihre Berechtigung haben: das fiktive. Wer bingehören und mitgezogen werden will, der hört „Passenger List“. Ein Flugzeug ist abgestürzt, or isn’t it? Die Schwester eines angeblich verunglückten Passagiers will sich damit nicht zufrieden geben und geht der Sache verbissen nach. Jede Folge ein neuer Anhaltspunkt, ein neues Scheitern und ein neuer, vielleicht entscheidender Tipp. In der zweiten und letzten Staffel muss man bisschen aufpassen, den Faden nicht zu verlieren, weil das Aufgebot der nacheinander auftretenden Akteure dann recht groß ist. Wer den Überblick behält, darf sich auf einen echten Ohrenthriller freuen.