„Schwarze Deutsche sind ein normaler Bestandteil der deutschen Gesellschaft“Schauspieler Jerry Kwarteng im Interview
28.2.2020 • Gesellschaft – Interview: Ina HildebrandtJerry Kwarteng spielt in der neuen Sat1-Serie „Die Läusemutter“ Jerome, der zusammen mit seinem Partner eine Tochter adoptiert hat. Der gebürtige Hamburger spricht im Interview über seine eigenen Grundschulerinnerungen, Rassismus und Vielfalt in der deutschen Fernsehlandschaft.
Jerry Kwarteng, haben Sie noch Erinnerungen an Ihre Grundschulzeit? Gab es ein prägendes Erlebnis?
Ja, früher ging es schon anders zu. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Eltern so einen starken Einfluss auf Lehrer ausgeübt haben, wie das heutzutage der Fall ist. Wir waren in der Grundschule ein bunter Haufen, das war ganz selbstverständlich, es waren alle sozialen Schichten vertreten – von einkommensschwach bis -stark. Wir hatten PoC (people of colour)-Kinder und solche, die aus dem Ausland nach Deutschland gezogen sind.
Sie spielen eine Figur, bei der Sexualität und Hautfarbe im Vordergrund stehen. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Beides sind Themen, die viel zu selten im TV vorkommen oder sagen wir mal eher mit Stereotypen gezeigt werden. Diese überspitzte Welt, in der sich die Figuren bewegen, hat mir sehr gefallen und ich finde es gut, dass mit einer gewissen Selbstverständlichkeit die gesellschaftliche Realität abgebildet wird. Als PoC-Schauspieler erhält man nicht oft die Gelegenheit in Deutschland eine Figur zu spielen, die in ihrem Charakter eine starke Linie hat und vor allem als Deutscher erzählt wird.
Welchen Widerspruch lebt Jerome? Was ist sein größter Konflikt, der ihm vielleicht selbst nicht ganz klar ist?
Jerome und sein Partner Walter sind sich über die Verantwortung als einziges schwules Elternpaar an der Schule sehr bewusst. Allerdings war Jerome nicht klar, wie schwierig sich das auf die Liebesbeziehung ausüben würde. Auch hat er als Schwarzer ein besonderes Interesse daran, dass seine Tochter aufgrund ihrer asiatischen Wurzeln keine Nachteile in der Klassengemeinschaft erfährt. Dass sein Verhalten allerdings auch gerade dazu beitragen kann, wird ihm im Laufe der Serie erst klar.
Wie stehen Sie Rollenangeboten gegenüber, bei denen Sie ihre Hautfarbe sozusagen mitspielen?
Wenn es sich in der Geschichte hauptsächlich um die Hautfarbe der Figur dreht, finde ich es sehr schlimm und heutzutage auch am Thema vorbei. Schwarze Deutsche sind ein normaler Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Ich versuche dann immer nach meinen Möglichkeiten darauf einzuwirken, noch andere stärkere und realistischere Aspekte mit einzubringen. Manchmal gelingt das. Es gab aber auch schon Situationen, in denen ich dann Rollen abgelehnt habe.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Uns Deutschen ist unsere eigene Geschichte oft nicht gut bekannt. Kaum einer kennt sich beispielsweise mit der kolonialen Vergangenheit aus. Die Definition von Deutsch umfasst uns bislang noch nicht wirklich. Begriffe wie Deutsch mit Migrationshintergrund grenzen aus. Die Realität ist jedoch, dass Deutsche eben auch so aussehen wie ich und das nicht erst seit ein paar Jahren.
„Unsere Kinder sehen diese Bilder in Film und Fernsehen und fühlen sich nicht repräsentiert.“
Also hat die deutsche Film- und Fernsehlandschaft noch einiges nachzuholen?
Leider wird noch viel zu oft in unseren Formaten stereotypisch mit PoC-Menschen umgegangen. Ich möchte mehr Selbstverständlichkeit und neue Perspektiven sehen. Es braucht mehr Geschichten, in denen beispielsweise PoC-Menschen die tragende Rolle spielen. Wenn man sie nicht adäquat abbildet, verliert man sie auch als Zuschauer. Unsere Kinder sehen diese Bilder in Film und Fernsehen und fühlen sich nicht repräsentiert. Daher ist es ungemein wichtig für die Gesamtheit der deutschen Gesellschaft, dass sich Perspektiven in den Geschichten ändern.
In einer Szene diskutieren die Eltern, ob man noch „Farbiger“ sagen darf oder ob „dunkelhäutig“ besser wäre. Jerome ist durchaus irritiert und sagt schließlich ganz resolut „schwarz“. Wie würde Jerry Kwarteng in einer solchen Situation reagieren?
Ich wäre sehr viel direkter. Beide Begriffe sind falsch. Farbig ist ein Kolonialwort und dunkelhäutig ist nicht treffend. Man sagt ganz einfach „Schwarz“. Ein einziges Wort. Nicht so schwer zu merken. Das hätte ich in der Situation einmal ganz klar gesagt und mich dann aber nicht wiederholt. Ich habe großes Verständnis für Berührungsängste in solchen Themen und gehe mit viel Geduld daran, aber wenn man Fragen gestellt bekommt, dann finde ich es auch wichtig, dass die gegebene Antwort akzeptiert wird und auch ein Lerneffekt eintritt.
Kann gespielter Rassismus auch belastend werden? Als Jerome durchleben Sie Situationen, die Ihnen womöglich aus ihrem persönlichen Leben bekannt sind. Was macht das mit Ihnen? Oder was machen Sie damit?
Da Rassismus leider fast täglich Thema ist, ist es manchmal ermüdend, wenn man in seiner Arbeit dann auch noch nur über dieses Thema verhandelt. In der Serie ist dies aber gut gelungen, da es dort nicht vordergründig um Rassismus geht, sondern eher den Umgang damit. Rassismus funktioniert ja zumeist in der Richtung, dass man sich als Schwarzer in der Opferrolle rechtfertigen und verteidigen muss. In dieser Serie wird dem Zuschauer der Spiegel vorgehalten. Das fand ich ausgesprochen gut gelungen und spannend.
Was zeichnet den Humor von „Die Läusemutter“ aus?
In der Läusemutter wird mit der Situation gespielt, dass Menschen zu vielen Dingen oft eine Meinung aus der Distanz haben. Werden diese Menschen dann aber selber ganz konkret von diesen Situation betroffen, reagieren sie nicht so „political correct“. Die Serie hält uns allen ein wenig den Spiegel vor und so kann man sich zu Hause alleine im stillen Kämmerlein auch gut an die eigene Nase fassen, ohne sich öffentlich bloß zu stellen.
Jerome hat afrikanische Wurzeln, sein Lebenspartner ist ein sogenannter Biodeutscher, die gemeinsame Adoptivtochter hat asiatische Wurzeln. Mehr kann man von einer „Normalfamilie“ nicht abweichen. Braucht das deutsche Fernsehen mehr diverse Familienbilder?
Was heißt denn Normalfamilie? Auf unseren Straßen sieht man alle möglichen Familienkonstellationen. Das wird im TV leider noch viel zu selten abgebildet. Da können wir alle viel realistischer sein. Ich sage bewusst nicht „mutig“, denn es hat nichts mit Mut zu tun, sondern mit dem einfachen Abbilden der Realität als Normalität. Man möchte uns oft vormachen, dass wir alle so unterschiedlich sind, dabei sind unsere Gemeinsamkeiten viel größer. Egal welches Familienmodell sie sehen, am Ende lieben wir alle unsere Kinder und wollen nur das Beste für sie.