Sach- und Fachgeschichten, heute: Mit Caren Lays „Wohnopoly“Vom Ende des Gemeinwohls Wohnen und wie wir zurück zum Anfang kommen
6.12.2022 • Gesellschaft – Text: Jan-Peter WulfWas ist Wohnen? Käufliches Gut oder Grundrecht? In der deutschen Realität eher Ersteres: Mieten muss man sich leisten können, und immer mehr Menschen müssen einen Großteil ihres Einkommens dafür aufbringen. Das Spiel heißt Wohnopoly, und wir sind fast alle die Verlierer. Zeit, die Spielregeln umzuschreiben, findet Caren Lay. Jan-Peter Wulf stellt ihr Buch vor.
Jedes Mal hatte ich als Kind dieses Gefühl zwischen Hoffen und Bangen: Lacht sich Kater Tom schlapp, schlägt die nächste Seite auf und liest genüsslich weiter – sprich gibt's noch eine Episode? Oder zerreißt er empört das Buch, sprich Schluss mit lustig? Beim Lesen des Buches von Caren Lay bin ich eigentlich von Anfang bis Ende im Empörungsmodus und möchte die Seitenfetzen fliegen lassen. Was für eine zum Himmel schreiende bzw. in diesen wachsende, Beton gewordene Ungerechtigkeit man da lesen muss! Eine, die man im Alltag mitunter im Hilft-ja-doch-nix-Modus hinzunehmen pflegt: Man zahlt ein Schweinegeld als Miete für seine Wohnung, man findet oft keine, die man sich aufgrund veränderter Lebensumstände – etwa Familienzuwachs – leisten könnte, man kann sich die Pläne, irgendwann mal etwas Eigenes zu besitzen, so was von in die Haare schmieren. Warum ist das so? Warum ist, über die persönliche Ebene hinaus, das Wohnen zum zentralen Element der Spaltung dieses Landes geworden, und wieso treibt sich der Keil treibt sich immer weiter hinein in die Gesellschaft?
Diese Frage treibt auch Caren Lay um. Sie ist Mitglied des Bundestages für Die Linke, Sprecherin ihrer Fraktion für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik (auch ein spannendes Thema) und fordert das Ende von „Wohnopoly“ im iterativen Karthago-muss-vernichtet-werden-Stile am Redner:innenpult. Und jetzt auch in einem Buch. Lay beschreibt, wie die Wohnungsnot, die längst die Mitte der Gesellschaft erreicht hat – dass ein Drittel bis die Hälfte des Einkommens für Miete draufgeht, ist keine Seltenheit mehr – eigentlich entstanden ist: durch eine Tragödienreihe politischer Entscheidungen.
Abriss des Gemeinwohls Wohnen
Um im Bild zu bleiben: Es ist ein Drama namens Gemeinwohldisorientierung in vielen Akten. Auftritt Paul Lücke, CDU. Der drückte 1960 als Bundesbauminister das, der Name sagt alles, „Abbaugesetz“ durch: Ergebnis waren die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung (wirksam gegen Leerstand und Leerstehenlassen), der Mietpreisbindung und erhebliche Schwächung des Mieterschutzes. 1990 wurde die sogenannte Wohnungsgemeinnützigkeit von der schwarzgelben Bundesregierung abgeschafft, was dem sozialen Wohnungsbau den Boden unter den Füßen wegzog. Als die rotgrüne Regierung Schröder dann ihr zweites Desaster neben Hartz IV umsetzte, die Steuerreform des Jahres 2000, brachte dies mit sich, dass internationale Private-Equity-Fonds en gros Wohnungen kaufen konnten, ohne dafür nennenswerte Steuern zahlen zu müssen. An dieser Stelle habe das Wohnopoly so richtig begonnen, so Lay. Warum ist Monopoly so ein blödes Spiel? Richtig, weil fast immer eine:r recht schnell sein/ihr Vermögen steigert und steigert, während die anderen eigentlich die ganze Zeit nur gegen ihren Bankrott ankämpfen müssen. Und so lief das Spiel in real life ab: Bund, Länder, Städte sahen, auf Schuldenbergen hockend, nur das schnelle Geld, das ihnen die Kaufinteressent:innen ihrer Wohnungen unter die Nase hielten – mit der Konsequenz, dass fast überall das viel zitierte Tafelsilber verramscht wurde. Zwischen 1999 und 2006 wurden so insgesamt eine Million Wohnungen privatisiert – im Schnitt für 42.000 Euro, kein Vertipper. Die Käuferinnen, große Wohnungsgesellschaften mit Finanzmarkthintergrund, kümmern sich als Vermieterinnen weniger um Schäden, Schimmel oder andere Mängel als vielmehr um ihre Shareholder, deren Erwartungen sie zu erfüllen haben. Und das Irre daran: Mieterhöhungen bedienen damit nicht selten den Renditedruck von Rentenfonds, während sich so manche in Rente befindende Hausbewohner:innen die Miete für die Wohnung, die seit Jahrzehnten den Lebensmittelpunkt darstellt, nicht mehr leisten kann.
Geldwäsche durch Betongold
Ein übler Nebeneffekt im Wohnopoly: Der Betrag des Geldes aus allerlei illegalen Geschäften, der über deutsche Immobilien gewaschen wird, beläuft sich bei vorsichtigen Schätzungen auf fünf Milliarden Euro, das Fünffache dessen, was heute noch für sozialen Wohnungsbau ausgegeben wird (alle zwölf Minuten fällt rechnerisch eine weitere Fläche sozialen Wohnungsbaus im Lande weg). Extrem eingeschränkte Kontrollbefugnisse, laxe Meldepflichten und zu wenig Prüfpersonal machen aus Wohnopoly einen wunderbaren Waschsalon. Dass sich Parlamentarier:innen lieber mit der Immolobby treffen als mit Mieter:innen-Verbänden, ist der Verbesserung des Zustandes ebensowenig zuträglich wie die Zuwendungen, die die Parteien aus der Branche erhalten. CDU und FDP kassierten seit 2000 rund neun Millionen Euro Parteispenden.
Weil immer mehr Vermögen (Weniger) durch den Besitz (Weniger) von Wohnungen angehäuft wird, in einem Land mit einer der niedrigsten Eigenheimquoten in Europa, sei Wohnen zur neuen Klassenfrage geworden, so Lay. Und nennt, das war zu erwarten, Wien als leuchtendes Beispiel dafür, wie es anders geht – 60 % der Wohnungen sind in gemeinnütziger Hand, die Mieten insgesamt noch bezahlbar.
Spielregeln ändern
Können wir da hin bzw. zurück? Zum Gemeinwohl Wohnen? Ja, sagt Lay. Ihre Forderungen listet sie am Schluss auf: Mindestens ein Drittel Gemeinnützigkeit auch in Deutschland. Rückkauf durch die Städte durch verbilligte Vorkaufsrechte. Mehr Genossenschaften. Umstellung des Steuerrechts zur Unterbindung von Spekulationen (z.B. dadurch, dass auch große Player eine Grunderwerbssteuer zahlen müssen). Beschränkung des Immobilienbesitzes und -erwerbs auf das Inland nach dänischem Vorbild. Eine Wertzuwachssteuer gegen Bodenspekulation. Ausschluss von Fonds, Vergesellschaftung von Wohnungsgesellschaften, eine Taskforce gegen Geldwäsche, Protest, Selbstorganisation … Ideen und Vorschläge, wie sich die Spielregeln ändern lassen, fehlen ihr nicht. Das macht Hoffnung.
Dass es nur ausgerechnet ihre Partei war, die 2004 in Berliner Senats-Regierungsverantwortung den Verkauf der GSW mitsamt ihrer 65.000 Wohnungen zum Spottpreis von 405 Millionen Euro mitentschied, erinnert an das Endbild jeder Tom-und-Jerry-Folge: Die arme Jerrymaus rutscht aus der roten Sauce der Torte, mit der Tom sie an die Wand geklatscht hat, und sitzt ratlos da. Vielen Dank für die Blumen.