Drei Jahre lang beschäftigten sich jugendliche Strafgefangene in Berlin mit Franz Schubert und seiner „Winterreise“. Multimedial und mit viel Engagement. Zum Abschluss des Projekts rappten sich die Teilnehmer über die Zielgerade. Das Filter war dabei und sagt: Respekt. Zumal die Fortführung der künstlerischen Arbeit in der Jugendstrafanstalt in dieser Form nicht gesichert ist.
Die Probleme und Themen sind dann doch überall die gleichen, selbst im Jugendstrafvollzug. Als alles vorbei ist, die Performance des Abends, die mehrjährige Veranstaltungsreihe, da stehen die Inhaftierten vor einem kleinen Buffet, futtern und reden über Bassdrums. Wie das wohl gewesen wäre, wenn man die in dem einen Track einfach weggelassen hätte, diesen Sound-Druck, den brauche man doch manchmal gar nicht, HiHat und Snare würden doch schon vollkommen reichen. Freunde und Familienmitglieder sind gekommen, um sich die Performance anzuschauen, kleine Brüder, große Schwestern der Kids-Knackis, es gibt Cola und Saft, Käsebrötchen und Buletten. Alle haben gute Laune, und wären da nicht die Gitterstäbe vor den Fenstern und die Justizvollzugsbeamten, die mit wachen aber freundlichen Augen patrollieren, könnte man glatt vergessen, dass das alles gerade wirklich in einem Knast stattfindet, mit Platz für 429 Gefangene.
Knapp drei Jahre lang haben sich mehr als 130 Insassen mit Franz Schuberts Winterreise beschäftigt. In den unterschiedlichsten Formaten: Theater, Film und eben auch Musik, in allen Facetten. Schreibwerkstatt, Kameraarbeit, Schnitt, Beats bauen, Vocals aufnehmen, Auseinandersetzung mit dem Originalwerk, Sprechtraining, alles was dazu gehört. Mit finanzieller Unterstützung der EU, betreut von einem sozial orientierten Theaterprojekt, mit grünem Licht der Gefängnisleitung. Im letzten Teil standen drei Lieder im Mittelpunkt, an denen die Jungs gearbeitet haben: „Wegweiser“, „Irrlicht“ und “Letzte Hoffnung“. Das klingt ein bisschen nach Klischee, aber von denen muss man sich im Knast sowieso verabschieden.
„Wo ist denn nun der Gangsta Rap?“
Die Crew nennt sich „RAParatur“, ihre Mitglieder Carlito, Dino, Fio 030, Joe Black, MC Jeff, Nepo, Pablock, Shaneh, SIY, Spinne und YesYor. Ihre richtigen Namen tun nichts zur Sache, nennen dürfte man sie sowieso nicht. Natürlich wollen alle Jugendlichen hier Rapper werden, da sind wir wieder beim Klischee, aus einigen von ihnen könnten jedoch tatsächlich welche werden. Alle sind perfekt aufeinander eingespielt, schmeißen sich die Mikros zu, klatschen ab und rappen, was das Zeug hält. Mit dem Originaltext von Schubert und mit eigenen Reimen, inspiriert vom Liederzyklus. Das sei nicht so einfach gewesen, sagt einer der Coaches, der das Projekt von „extern“ betreut hat und mit den Teilnehmern an den Lyrics gearbeitet und sie davon überzeugt hat, bestimmte Floskeln und Sätze dann doch nicht zu verwenden. Keine Zensur, um Gottes Willen, eher ein gut gemeinter Ratschlag, wirklich zu versuchen, reflektiert mit dem Thema umzugehen. Von wegen Zukunft und so. Und so wirken die Raps dann auch streckenweise etwas roh gezimmert, auf einem reichlich schmalen Grat ausbalanciert. Ein bisschen käsig, so wie im Deutschrapkuschelradio. Wo ist denn nun der Gangsta Rap? Und es ist natürlich auch musikalisch mitunter schwierig, auch wenn der DJ solide scratcht und seine Beats im Griff hat. Darum geht es hier nicht. Auch wenn das schon wieder ein Klischee ist. Denn natürlich müssen sich auch Knackis Kritik gefallen lassen. Wenn man die Crew aber auf der Bühne beobachtet, mit wie viel Spaß sie bei der Sache sind, dann muss man dringend Fünfe gradesein lassen. Sollte man eh viel öfter.
##Perspektiven
Die haben die Jugendlichen hier nicht gerade reichlich. Zwar gibt es über 20 Werkstätten, in denen man arbeiten und auch Ausbildungen machen kann, „wir sind und bleiben aber ein Gefängnis und sind keine Event-Agentur“ sagt der Leiter der Strafanstalt kurz vor Beginn der Veranstaltung. Und das Geld wird knapper und knapper und die Zukunft solcher Initiativen wie der „winterREISE“ immer unsicherer. EU-Förderung hin oder her. Den Jugendlichen hier solche Angebote machen zu können, hängt auch an ganz anderen Dingen. Zum Beispiel daran, ob am Wochenende noch genug Vollzugsbeamte Schicht haben, um die Proben zu beaufsichtigen. Dem Zufall überlassen wird hier nichts, auch wenn die „Schließer“ an so einem Abend eher im Hof stehen und rauchen. Ob und wie so ein Projekt erneut stattfinden kann, ist vollkommen unklar. Das wird von den Verantwortlichen klar thematisiert und natürlich auch kritisiert, nicht nur in Richtung des Bezirksbürgermeisters und der ehemaligen Justizsenatorin, die auch im Publikum sitzen.
Bei allen sozialpädagogischen Vorschaltungen, die bei so einem Projekt auch 2014 in Berlin offenbar noch unvermeidlich sind, bei allen bürokratischen Hürden, die im Vollzug gemeistert werden müssen, bei aller Technik, die für die Umsetzung hinter die Mauern muss: Wenn diese Arbeit nicht fortgesetzt werden kann, dann geht etwas verloren, was nicht verloren gehen darf. Denn man spürt die Energie und die Ideen, die die Jugendlichen in den vergangenen Jahren während ihrer Arbeit am Projekt aufgesogen haben und hoffentlich nutzen werden. Vor allem gegen Ende der Veranstaltung, als alle Teilnehmer am Bühnenrand sitzen und die Zugabe spielen, nochmal ganz tief atmen und alles rauslassen.
Und auch, wenn man den Mitgliedern von „RAParatur“ natürlich eigentlich wünscht, dass sie bei einer etwaigen Fortführung oder Neuauflage nicht mehr dabei sein werden, weil entlassen: Wenn man ihnen hier am Buffet so zuhört, dann könnte das einfach so weiter gehen.