Wo Techno noch echte Rebellion und Untergrund bedeutetFilmkritik: „Raving Iran“

Raving Iran Lead

Mit Raving Iran kommt jetzt der erste lange Dokumentarfilm der in Zürich lebenden Regisseurin Susanne Regina Meures ins Kino. Die Geschichte um die beiden DJs Anoosh und Arash liefert beeindruckende Einblicke in eine Gesellschaft, in der Kunst völlig unfrei ist und alles auf dem Spiel steht, wenn man sich den Regularien zu entziehen versucht. Benedikt Bentler hat sich die Doku angesehen.

„Englisch ist nicht erlaubt.“
„Bilder wie diese sind verboten.“

Diese Sätze entgegnet die Angestellte des iranischen Ministeriums für Kultur und Islamische Führung den beiden Deep-House-Künstlern Anoosh und Arash, die sich in der Behörde eingefunden haben, um eine Genehmigung zur Veröffentlichung ihres Debüt-Albums zu bekommen. Sie scheitern kläglich: elektronische Musik? Nicht erlaubt. „Blade&Beard“ als Künstlername? Können sie vergessen. Als es darum geht, eine Frau als Leadsängerin einzusetzen, fühlt sich die Mitarbeiterin schließlich provoziert. Den beiden DJs wird es zu heiß, sie hauen ab. Ganz unrecht dürfte die Mitarbeiterin mit ihrer Anschuldigung der Provokation nicht haben, denn es ist schwer zu glauben, dass die beiden Künstler tatsächlich so unwissend gegenüber den iranischen Regularien der Kunstfreiheit sind, wie sie sich geben. Aber es geht hier eben mehr als um ein Album: Es geht darum, zu zeigen, was Repression in der Islamischen Republik ganz konkret und aus nächster Nähe bedeutet – mit versteckter iPhone-Kamera, natürlich ohne Drehgenehmigung. Dazu gehören aussichtslose Besuche in unzähligen Druckereien, die sich weigern, das Cover ohne behördliche Genehmigung zu drucken, in unzähligen Plattenläden, die sich weigern, die Platte ins Regal zu stellen: „Dieses Design schreit: ILLEEEGAAAL!“ Gleichzeitig spürt man in fast jedem Einzelnen den inneren Widerständler, wenn man genau zuhört. Sie würden ja gern. Aber die Unsicherheit, die Beobachtung, die empfindlichen Strafen der Vergangenheit, gerade erst erwischt worden. Der Film vermittelt einen Gottesstaat, der mehr auf den Prinzipien der Unterdrückung fußt denn auf Überzeugung.

Ein letzter Rave

Auch abseits des Albumsreleases sind diese Prinzipen omnipräsent. So wird die Planung eines illegalen Raves in der Wüste zur reinen Zitterpartie: Reicht das Geld? Halten die Zusagen? Was ist mit den Kontrollen? An dieser Stelle ist kein Unterschied zwischen Doku und Spielfilm spürbar.

Raving Iran 2

„Haltet immer einen Hidschāb bereit, falls die Polizei kommt.“

Schließlich erreichen ein Reisebus und zwei Transporter den entlegenen Platz in der Wüste, und Raving Iran wird seinem Namen gerecht. Um die dreißig unkenntlich gemachte Personen – ach ja, ein Dokumentarfilm! – tanzen durch die klare Nacht, bis die Wüstensonne wieder scheint. Bis keiner mehr kann und alle nur noch herumliegen – skurrile Anblicke. Ein kurzer Moment der Identifikation kommt beim Berliner Publikum des Pre-Screenings unter freiem Himmel auf, alles lacht. Jaja, man kennt es, same same but different. Tatsächlich mangelt es dem Film auch an anderen Stellen nicht an Lachern. Trotz permanenter Drohkulisse schafft Regisseurin Susanne Regina Meures es, den feinen Humor der beiden Protagonisten herauszustellen: Arash, der sich nur wenig zu Wort meldet, aber wenn, dann ironisch, genervt, oder sarkastisch, jedoch immer pointiert. Anoosh, der nach dem Verlassen der Schweizer Botschaft zuerst seine Familie, dann seinen Partner hereinlegt und ihnen erzählt, dass das mit dem Visum für die Schweiz doch nicht geklappt habe.

„Guck dir die Benzinpreise an“

Nach einer Anfrage für einen Gig in der Schweiz im Rahmen der Züricher Streetparade machen Anoosh und Arash sich nämlich daran, ihre Ausreise zu organisieren. Dass es mit dem Visum klappt, obwohl Anoosh gerade noch im Gefängnis war, ist entscheidend, aber nur ein Meilenstein von vielen. Denn beiden ist klar: Gut möglich, dass sie nicht mehr zurückkommen. Schließlich verlässt Anoosh sogar seine Freundin, und selbst hier ist die versteckte Kamera dabei.

In der Schweiz angekommen, lässt die dort lebende Nachwuchsregisseurin Momente für sich sprechen. Ehrlich freudestrahlend laufen Anoosh und Arash über die Streetparade, stoppen amüsierend fassungslos vor dem Drug-Checking-Point, unvergessen bleibt das Gesicht von Anoosh bei seinem ersten Schluck Mate. Als Arash seiner Schwester erzählt, dass frische Nüsse in der Alpenregion Mangelware sind, entgegnet diese lachend:

„Keine frischen Nüsse? Was für ein Scheißland hast du dir ausgesucht?“

Alltagskomik. Aber die Ernsthaftigkeit kommt zurück, die beiden müssen entscheiden, ob sie bleiben oder zurückfliegen. Als Anoosh mit seiner Mutter telefoniert, entgegnet diese ihm: „Bleib, wir wollen dich nicht zurück. Ich hätte damals auch gehen sollen.“ Damals, als die Ausreise noch einfacher war. Vor 1979, vor der Islamischen Revolution, dem Sturz des Schahs und der Machtergreifung durch Ajatollah Ruhollah Chomeini? Genau wird das nicht klar. Womit wir beim einzigen Kritikpunkt zu Raving Iran wären.

Streetparade Zürich

Foto: Verein Street Parade, ZÜRICH.

##Damals, 1979
Leider versäumt Susanne Regina Meures zu erwähnen, dass sich die Elterngeneration von Anoosh und Arash durchaus noch an das Leben ohne streng islamisch ausgerichtete Gesetzgebung erinnern kann. Vor 1979 war der Iran eine Monarchie, regiert vom (dem Westen hörigen) Schah Mohammad Reza Pahlavi, und doch vor allem eines: säkular. Dem aufgrund des Film-Sujets vor allem jungen, westlichen Publikum dürften diese Zusammenhänge oft nicht klar sein. Und so bleibt es fraglich, ob der zuvor erwähnte innere Widerstand vieler Iraner im Angesicht der permanenten, unscharfen Drohkulisse des Films von den Zuschauern überhaupt wahrgenommen wird. Gezeigt wird er, nicht nur in bedauerlicher statt rigoroser Ablehnung der Wünsche von Arash und Anoosh rund um ihr Album. Man sieht auch die Frauen Teherans, die ihren Hidschab zwar tragen, aber eben nur geradeso auf den Hinterkopf auflegen – und nebenbei in High Heels laufen. Oder die Anwältin, die der Fastenzeit keine Beachtung schenkt. Die Repression im Iran wird – gerade in Teheran – oft begleitet von Rebellion im Privaten. Leider ist das Schlüsselloch, durch das der Zuschauer mittels verdeckter iPhone-Kamera blickt, zu klein, um diesen Umstand zu würdigen. Schade, dass die Dokumentation, die die Unterdrückung der Kunstfreiheit zum Hauptthema hat, diesen zum besseren Verständnis entscheidenden Kontext nicht liefert.

Raving Iran Poster

##Beeindruckendes Doku-Debüt
Abseits dieser Kritik ist es schlichtweg beeindruckend, was die junge Regisseurin Susanne Regina Meures für Raving Iran gewagt hat. Für keine Szene der Dokumentation gibt es eine Drehgenehmigung, mit versteckter Kamera wird der Zuschauer ins Herz der iranischen Behörden geführt. Equipment wurde vor Ort besorgt, Aufnahmen hat man illegal aus dem Land gebracht. Es gibt viele Stellen, an denen der Dreh abrupt und erschreckend hätte enden können. Zum Glück ist alles gut gegangen. Ins Kino gehen? Unbedingt.

Raving Iran
Schweiz 2016
Regie & Drehbuch: Susanne Regina Meures
Mit: Anoosh & Arash
Produzent: Christian Frei
Koproduzentin: Anita Wasser / ZHDK
Kamera: Gabriel Lobos, Susanne Regina Meures
Schnitt: Rebecca Trösch
Musik: Blade & Beard, Ghazal Shakeri, Roland Widmer, Stefan Willenegger
Laufzeit: 84 Minuten
ab dem 29.9.2016 im Kino

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