Filmkritik: „Finding Vivian Maier“Über die bekannteste unbekannte Fotografin
29.10.2014 • Film – Text: Tim SchenklBei den 64. Filmfestspielen in Berlin war Finding Vivian Maier einer der großen Publikums-Renner. Nun ist der Dokumentarfilm auf DVD erschienen.
Vivian Maiers Street-Photography zählt zu den größten Phänomenen der Kunstwelt in den letzten Jahrzehnten. Ihre Bilder wurden sehr erfolgreich in Galerien auf der ganzen Welt gezeigt und es sind mehrere Bildbände mit ihren Werken erschienen. Doch wer ist eigentlich Vivian Maier? Dieser Frage gehen John Maloof und sein Co-Regisseur Charlie Siskel in dem soeben auf DVD erschienenen Film Finding Vivian Maier nach. Maloof gilt als der Entdecker des fotografischen Werks von Vivian Maier: Bei einer Auktion in Chicago hatte er auf der Suche nach Bildern für ein Buchprojekt eine Kiste mit Negativen erstanden. Die Aufnahmen stammen von einer Frau namens Vivian Maier. Als Maloof ihren Namen bei Google eingibt, erzielt er keine Treffer. Er digitalisiert die Negative und betrachtet sie auf dem Computer. Dabei stellt er fest, dass es sich überwiegend um Straßenfotografien handelt: Alltagsszenen, Kinder, aber auch düstere Aufnahmen von Betrunkenen, Kriegsversehrten und Mülleimern. Dazu immer wieder Selbstporträts einer groß gewachsenen, schlanken Frau, die sich im Stil der Arbeiterinnen in der Sowjetunion kleidet und häufig nur als Schatten in den Fotos auftaucht.
Der von Maloof ins Leben gerufene Blog und der zugehörige Flickr-Account mit den Arbeiten Maiers erfreuen sich innerhalb der Netzgemeinde schnell großer Beliebtheit. Auch Maloof ist gebannt von der teilweise verstörenden Schönheit der Aufnahmen und fasst einen Plan: Er will herausfinden, wer Vivian Maier war. Bei einer erneuten Google-Suche stößt er dann auf ihre Todesanzeige. Er findet heraus, Vivian Maier war keineswegs professionelle Fotografin. Sie war Nanny - vierzig Jahre lang in unterschiedlichen Familien rund um Chicago. Immer eine Kamera um den Hals, doch niemand bekam ihre Fotos zu sehen. Außerdem sprach sie mit einem aufgesetzten französischen Akzent, lebte extrem zurückgezogen und verwendete häufig falsche Namen.
Finding Vivian Maier zeigt vor allem John Maloofs Reise in die Vergangenheit der so extrem auf ihre Privatsphäre bedachten, kinderhütenden Fotografin, die dank ihm mittlerweile zu einer internationalen Berühmtheit geworden ist. Er trifft einige ihrer wenigen Bekannten, besucht die Familien, für die Maier arbeitete, und spürt ihre letzten lebenden Verwandten in Frankreich auf. Dabei wird schnell deutlich, dass der Filmemacher und das Objekt seiner Faszination nicht unterschiedlicher sein könnten: Gibt man den Namen John Maloof bei Google ein, so findet man neben einem Facebook-, einem Instagram-, einem Flickr- und einem Twitter-Account auch einen eigenen Blog und eine persönliche Homepage. Heutzutage ist das wahrscheinlich normal, im Zusammenhang mit dem Film wird es jedoch zum Problem. Denn Maloof scheint nicht in der Lage zu sein, Verständnis für eine Künstlerin aufzubringen, die sich scheinbar sehr bewusst aus der Öffentlichkeit zurückzog und deren Bestreben es ganz offensichtlich nicht war, durch das Fotografieren irgendeine Form von Berühmtheit zu erlangen. So ist Finding Vivian Maier dann auch kein Künstlerporträt geworden, sondern das Psychogramm einer Frau, die sich selbst nicht mehr wehren kann. Und auch wenn Maloof manchmal zu ahnen scheint, dass Maier mit der ihr zuteil werdenden Aufmerksamkeit wohl ganz und gar nicht einverstanden gewesen wäre, so lässt sein eigener Geltungsdrang ihn dies immer wieder vergessen. Bis zuletzt schafft er es nicht, der Dame hinter der Kamera wirklich nah zu kommen - und das ist wohl auch gut so, denn das hätte sie sicher nicht gewollt.
Finding Vivian Maier
Regie: John Maloof und Charlie Siskel
Sprachen: Deutsch, Englisch
Länge: 81 Min
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