Auch Nonnen masturbierenDie zweite Staffel von „Orange Is the New Black“ ist da
2.8.2014 • Film – Text: Rabea TannebergerOrange Is the New Black gilt seit dem Erscheinen der ersten Staffel auf der Streaming-Plattform Netflix als einer der großen Kritiker- und Publikumslieblinge der jüngsten Seriengeschichte. Die Erwartungen, die mit dem Release der zweiten Staffel einher gingen, waren dementsprechend hoch. Ob sich das Warten gelohnt hat?
„Oh, my God, Larry, by the time I get out, there'll have been, like, three new generations of iPhones.“ So lautet die lakonische Verabschiedung Piper Chapmans (Taylor Schilling) von ihrem Verlobten, bevor sie sich für 15 Monate in den Gewahrsam der „Litchfield Correctional Institution“ begibt.
Dass die Upperclass New Yorkerin mit dem unschuldigen Rehaugenblick und einem Verlobten, der den neurotischen Charme eines Woody-Allen-Protagonisten versprüht (vielleicht weil Jason Biggs in Anything Else tatsächlich einmal einer war), das nächste Jahr statt mit dem Design von Badeprodukten im Gefängnis verbringen muss, glaubt ihr zunächst nicht einmal der Gefängniswächter. Der harsche Kontrast zwischen dem privilegierten Lebensstil der selbstdeklarierten „WASP“ und der Mischung aus Trostlosigkeit, Isoliertheit und körperlicher Bedrohung im Frauengefängnis bildet den Aufhänger und Handlungskern der ersten Staffel von Orange Is the New Black: Als Zweiundzwanzigjährige von ihrer Jugendliebe, der Drogendealerin Alex (Laura Prepon), dazu verführt, einen Geldkoffer zu schmuggeln, verrät diese Piper zehn Jahre später an die Polizei, um ihre eigene Haftstrafe zu mindern.
Pipers Außenseiterstatus an einem Ort voller Außenseiter wird dabei zum Fluchtpunkt für eine gekonnt ausbalancierte Mischung aus körperdramatischer Ernsthaftigkeit und scharf pointierter Komik, auf die sich auch die große Anzahl an Internet-Memes zurückführen lässt, die die Serie bereits hervorgebracht hat.
Weit mehr als nur bloße Requisiten der Gefängniskulisse sind es die Nebenfiguren, die den großen Charme der Serie ausmachen.
Zugleich fungiert Piper jedoch auch als „trojanisches Pferd“ für Serienmacherin Jenji Kohan (Weeds), um die Geschichten von weniger leicht vermarktbaren Charakteren erzählen zu können. So tut der breit gefächerte Cast der Serie der Komplexität ihrer Figuren keinen Abbruch. Im Gegenteil: Weit mehr als nur bloße Requisiten der Gefängniskulisse sind es die Nebenfiguren, die den großen Charme der Serie ausmachen. Allen voran durch die Figur der Gefängnis-Friseuse Sophia (Laverne Cox), die seit Candis Cayne in Dirty Sexy Money die erste Darstellung eines Transexuellen im Fernsehen ist, die auch von einer transsexuellen Frau verkörpert wird, lässt Orange keine Möglichkeit ungenutzt, stigmatisierten Personengruppen nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Geschichte zu geben. Von religiösen Fanatikerinnen über die psychisch gestörte „Crazy Eyes“ bis hin zu der russischen Mafiosa „Red“: Kohan findet trotz (oder gerade wegen) ihres Anspruches auf eine realistische Erzähl- und Darstellungsweise stets einen Weg, Empathie für ihre Figuren zu erzeugen.
En passant bietet sie dem Zuschauer dabei auch eine seltene mediale Darstellung von Weiblichkeit, die außerhalb eines Kontextes von heterosexuellen Beziehungen und exzessivem Konsumverhalten steht – und nicht nur deshalb, weil Männer und Shoppingmöglichkeiten im Frauengefängnis per se eher selten sind. Anders als der Serientitel vielleicht suggeriert, der auch die Headline eines Vogue-Artikels oder der exaltierte Ausruf einer Sex and the City-Protagonistin sein könnte, werden beispielsweise Schuhe in Orange nur dann zum Thema, wenn sich Piper aus Monatsbinden und Haargummis notdürftig Badelatschen basteln muss.
Ähnlich wie in Jenji Kohens Erfolgsserie Weeds, in der eine „Soccermom“ aus Geldsorgen zur Dealerin transformiert, wird auch in Orange Is the New Black erfahrbar, dass es vor allem die Umstände sind, die aus Menschen „inmates“ machen. Gleichzeitig beharrt Kohan darauf, auch ihre sozial marginalisiertesten Charaktere nicht in systemische Opferrollen fallen zu lassen. Vielmehr scheint sie die verborgenen Dämonen all ihrer Figuren ans Licht bringen zu wollen: „I’m scared that I’m not myself in here and I’m scared that I am“, sagt Piper und prügelt nur wenig später eine andere Insassin bis zur Bewusstlosigkeit.
Es bleibt nur zu empfehlen, vor dieser ersten Folge noch einmal das Badezimmer zu benutzen, vorzugweise ein kakerlakenfreies.
So wird ihre Sorge, die nächsten drei Generationen von iPhones zu verpassen, zu Beginn der zweiten Staffel von der Angst abgelöst, dass sie eine Mitinsassin getötet haben könnte. Pipers beklemmende Ahnungslosigkeit steigert sich ins Panische, wenn sie nach drei Wochen in Einzelhaft bei Nacht und Nebel in ein Flugzeug mit unbekanntem Zielort gesetzt wird. Die Hilflosigkeit der Situation, in der Pipers Körper mehr denn je zum willkürlich fremdbestimmten Objekt degradiert wird, treibt Taylor Schilling zu schauspielerischen Höchstleistungen. Die somatische Inszenierung, die zu den größten Stärken der Serie gehört, wirft dabei auch den Zuschauer auf seine eigene Körperlichkeit zurück. Es bleibt nur zu empfehlen, vor dieser ersten Folge noch einmal das Badezimmer zu benutzen, vorzugweise ein kakerlakenfreies.
Jedoch verliert die emotionsreiche Entwicklung von Piper bereits in der zweiten Folge an Dramatik, wenn deutlich wird, dass sie von ihrem Egozentrismus noch lange nicht geheilt ist: „It’s great to see you evolving, Piper“, mokiert sich die drogenabhängige Mitinsassin Nicki, „getting past the whole‚ I’m the star of my own movie and everyone else is too complex’.“ Selbstreflexiv rückt die Serie in der neuen Staffel etwas vom Leidensweg ihrer Protagonistin ab und verlagert ihren Fokus noch mehr auf die Nebenfiguren der Geschichte: So erfahren wir in authentisch inszenierten Flashbacks, was es mit dem geheimnisvollen „Christopher“, dem Verlobten der Italienerin Morelli, auf sich hat, warum ein Kuss die Haft von Krebspatientin Rose verschuldete, und dass auch Nonnen masturbieren. („There's this statue of Jesus on the cross that was especially ripped. He was my guy.“)
Es wurde höchste Zeit für etwas Abwechslung.
Gleichzeitig ist es eben jene Dezentrierung der Geschichte, die ihrer narrativen Integrität schadet und sie in teils langatmige Erzählstränge ausfransen lässt. Insbesondere Neuzugang „Vee“, die als manipulative Mutterfigur die ethnische Cliquenbildung wieder aufleben lässt, bremst den Plot langsam aber sicher aus. In einem lauwarmen Aufguss der ersten Staffel, in der Gefängniswärter Mendez (auch: „Pornstache“) den Gefängnis-Schwarzmarkt für seine Zwecke missbraucht, kämpft nun Vee erbittert um denselben. Es scheint fast, als gäbe es im Gefängnis nur einen Weg, um als Bösewicht zu bestehen.
Während Vees manipulative Spielchen mit der Zeit redundant werden, ist der misogyne Gefängniswärter wiederum allein schon Grund genug, sich Staffel zwei anzusehen: Sowohl die denkwürdige Sequenz, in der er mit den Worten „Mendez is back, bitches!“ zurückkehrt, als auch seine so bizarr wie rührende Liebeserklärung bei seinem Abgang gehören zu den Glanzmomenten der Staffel. Zudem beweist die Entwicklung von Mendez, dass Orange auch seinen männlichen Protagonisten eine differenzierte Darstellung nicht verwehrt. Was die männlichen Figuren jedoch einschlägig verbindet, und das mag man kritisieren oder feiern, ist ihre Darstellung im Kontext ihrer amourösen Verwicklungen.
Meine Meinung: Nach so vielen Jahren der heteronormativen Hegemonie (nicht nur) in der Seriengeschichte, in der Frauen die großen Gefühle und Männern die Rolle der gewalttätigen Antihelden vorbehalten blieben, wurde es höchste Zeit für etwas Abwechslung.