Tesla auf zwei RädernProbefahrt auf dem „Electrified S“, dem neuen E-Bike von VanMoof
6.6.2017 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannKraftvollerer Motor, größerer Akku, höhere Geschwindigkeit, klügere Features gegen Diebstahl, Bluetooth und 3G: Die holländischen Fahrradbauer von VanMoof haben ihr zweites E-Bike fertig, das neue „Electrified S“. Noch diesen Sommer kommt es für 3.000 Euro in den Handel. Für eine Probefahrt trat Thaddeus Herrmann erstmals seit einigen Jahren wieder in die Pedale.
Beim Thema Elektromobilität denkt man heutzutage ganz automatisch an die Tesla-Überholspur und vielleicht auch noch lächelnd daran, wie die europäischen Autobauer nur zäh und langsam aus dem Otto-Quark kommen. Dabei spielen die emissionslosen Motoren bei Fahrrädern schon viel länger eine viel einflussreichere Rolle. Vielleicht liegt diese Wahrnehmung vor allem daran, dass man bei Fahrrädern seltener genau hinschaut. Ein Rad ist und bleibt eben ein Rad. Ein Tesla hat ein eindeutiger identifizierbares Design, genau wie ein i3 von BMW.
Bei VanMoof hat man diesen Wiedererkennungswert, den bestimmte Autos nun einmal haben, bei der Entwicklung der Fahrräder von Anfang an mitgedacht. Vielleicht weiß man nicht, dass es sich bei diesem ungewöhnlich symmetrisch anmutenden Drahteseln um die Idee der beide Brüder Taco und Ties Carlier, also ein Fahrrad von VanMoof handelt. So ein Design jedoch prägt sich ein. Ob man es nun mag oder nicht. Nicht dass dies das einzige Design von VanMoof ist, das Aushängeschild ist es allemal. Auch, weil es den „Straight Frame“ in drei Varianten gibt. Als „Fahrrad-Fahrrad“, also ohne Schnickschnack, als „SmartBike“ (mehr dazu gleich) und schließlich als E-Rad oder „Electrified S“. Und genau das kommt nun in einer neuen, verbesserten Version in den Handel. Auf einem Prototypen drehte ich vor ein paar Wochen mit Taco Carlier ein Runde durch den Berliner Prenzlauer Berg.
VanMoof baut Fahrräder für die Stadt. Nichts für das Gelände, keine Modelle, um Lasten zu transportieren. Es geht also um die zweirädrige Kurzstrecke. Die Fahrräder orientieren sich ihrem mit Design und Ausstattung dann aber doch eher am täglichen Weg zur Arbeit als an der mehrtägigen Querfeldein-Tour durch die Uckermark. Und für genau diese Philosophie steht auch das Flaggschiff „Electrified S". Auf die Idee, solche Fahrräder zu bauen, sagt Taco, seien er und sein Bruder vor rund zehn Jahren in New York gekommen, als im heißen Sommer Anzugträger sich strampelnd an ihnen vorbei über die Brooklyn Bridge quälten. Muss doch nicht sein.
120 Kilometer durch die Stadt
Dass das „Electrified S“ für die Stadt und den commute konzipiert ist, merken Auskenner schon daran, dass der Motor am Vorderrad sitzt. Für andere Einsatzszenarien sei das nicht ideal, sagt Taco, für die Stadt aber genau richtig. Der Motor im neuen E-Bike hat 250 Watt, eine deutliche Steigerung gegenüber der ersten Version. Auch der Akku ist mit 418 Wh leistungsstärker: Bei entspanntem Fahren kann diese Technik das eigene Treten bis zu einer Reichweite von 120 Kilometern unterstützen.
Turbo
All das ist schön und gut, noch besser ist aber der „Boost-Knopf“, praktisch platziert auf der linken Seite des Lenkers. Ist der aktiviert, steigt die maximale Geschwindigkeit des E-Bikes auf 32 km/h. Das hilft nicht nur an der Ampel. In wenigen Sekunden von 0 auf 100 sozusagen: Das kennt man nicht von Fahrrädern und macht einen Höllenspaß. Selbst auf dem Kopfsteinpflaster des friedlichen Prenzlauer Berg fühlt man sich plötzlich wie auf der Rennbahn, sitzt dabei jedoch vollkommen bequem und entspannt im Sattel. Ganz legal ist das in Europa allerdings nicht, hier ist die Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt. Die Funktion muss erst in der Smartphone-App freigeschaltet werden. Nun ja: Da wird wohl niemand vom Ordnungsamt nachschauen. Obwohl: So viele Fahrräder, die auf der Danziger Straße die Tram überholen, wird es nicht geben.
Das Tolle am „Electrified S“ ist, dass – vom Motor abgesehen – die gesamte Technik fest im Rahmen verbaut ist. Und somit nicht abmontiert, gemopst oder mutwillig zerstört werden kann. Das schafft ein sicheres Gefühl, erinnert natürlich aber auch an unsere Smartphones, Tablets und Laptops, bei denen man auch nicht mehr an wichtige Komponenten herankommt, ohne die Garantie in den Wind zu schießen. Beim E-Bike von VanMoof hat das aber einen ganz konkreten Hintergrund. Die Technik darf nicht ohne weiteres zugänglich sein, damit das Sicherheitskonzept aufgeht. Es wird Zeit, über Bluetooth und die App zu reden.
Der iPhone-Schlüssel
Es ist 2017 und ich fahre mit einem Fahrrad durch Berlin, in dessen Rahmen eine SIM-Karte von Vodafone funkt. Kann man sich nicht ausdenken, bzw.: Würde man eigentlich gerne mal anrufen. Das geht natürlich nicht, denn die Karte ist dafür zuständig, die Position des Rades zu ermitteln, wenn es geklaut wurde. Bei VanMoof hofft man, dass das nie passiert, das Rad sei so konstruiert, dass sich Diebe schon arg ins Zeug legen müssen, um das Schloss zu knacken, sagt Taco. Einer von vielen Gründen, warum man für die VanMoof-Räder rund 80 Prozent der Bauteile selbst entwickelt und sich nicht bei der etablierten Zuliefererkette bedient hat. Einen Schlüssel für das Schloss gibt es übrigens nicht. Dafür hat man heutzutage sein Telefon und die App. Auf der Mittelstange ist ein kleines berührungsempfindliches Display, das bei Kontakt sofort Bluetooth anschmeißt, um das dazugehörige Telefon zu orten. Erst dann geht das Schloss auf.
Den Diebstahl kann man aus der App melden. Dann wird das Fahrrad als erstes stillgelegt. Der Motor geht nicht mehr, der Akku wird ausgeknipst, Vorder- und Rücklicht bleiben dunkel. Nur die SIM-Karte sendet weiter die Position. Hier kommt ins Spiel, dass die Technik fest in den Rahmen integriert ist. Denn natürlich suchen Diebe als erstes nach möglichen Trackern und entfernen sie. Bei VanMoof geht das nicht. Und sollten Diebe dennoch ihre Langfinger an das winzig kleine Board bekommen, sind die Chancen hoch, dass es beim Ausbau kaputt geht. Wer sieben Euro pro Monat in eine Art Versicherung investiert, kann sein gestohlenes Fahrrad von einem Team von „Biker-Huntern“ suchen lassen. Weltweit. Wird es innerhalb von zwei Wochen nicht gefunden, bekommt man ein neues Fahrrad. Ein Feldversuch, so Taco, habe bestens funktioniert. In Amsterdam habe man ein Fahrrad stehen lassen und schließlich in Marokko aufgestöbert und zurückgeholt. Die Route war episch und komplex. Die Freude am Ende umso größer.
Das klingt alles irgendwie sensationell und sehr futuristisch. Ob es Menschen in Städten, wo Fahrräder so schnell geklaut werden wie Fliegen sterben, wirklich bei der Entscheidung hilft, für ein Fahrrad 3.000 Euro auszugeben – so viel kostet das „Electrified S“ nämlich –, ist natürlich fraglich. Das E-Bike passt sich gut in diesen von der Konsumgüterindustrie erfundene Idee des „urbanen Lifestyles“ ein, in dem alles prächtig und exklusiv und nachhaltig und hochwertig ist. Wenn man es sich denn leisten kann. Einerseits.
Andererseits ist ein Fahrrad auch nichts anderes als ein Kopfhörer, ein Telefon, oder ... was war das doch gleich, richtig: ein Auto! Wenn es einem wichtig ist, will man irgendwann mehr. Und auf dem „Electrified S“ durch die Stadt zu düsen, ist schon sehr next level shit. Hat man auch nicht oft.
Ein paar Tage nach der Probefahrt sehe ich ein komplett weiß getünchtes Rad von VanMoof an eine Berliner Laterne gekettet. Auf den Rahmen prangte mit grünem Filzstift geschrieben: „Wie die Berghain-Tür, vergesst es.“ Hoffentlich stimmt das genau so.
Das neue „Electrified S“ kann ab dem 13. Juni bestellt und gekauft werden. An diesem Tag erhalten Besteller 500 Euro Rabatt. VanMoof hat in der Berliner Schliemannstr. 23a einen eigenen Laden.
Electrified S
- Gewicht: 18 kg
- Reichweite: bis zu 120 Kilometer
- Rahmen: 28“
- Schaltung: automatisch, zwei Gänge
- Maximalgeschwindigkeit: 32 km/h
- Motor: 320 W
- Akku: 420 Wh
- Ladezeit: sechs Stunden
- App: iOS und Android
- Preis: 3.000 Euro