Heavy Metal, Burritos, MitbewohnerDas Pop-House-Duo Bob Moses im Interview
21.9.2015 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerGanz sanft kommt ihre Interpretation von House daher. Herzzerreißende Lyrics – manchmal nah an der Grenze zum Kitsch – auf butterweichen Kicks. Eingängige Akkordfolgen, hier und da mit Gitarrenspiel garniert, oft klassischen Songstrukturen folgend. DAS FILTER-Redakteur Benedikt Bentler hat sich mit den beiden Kanadiern, deren Debütalbum „Day Gone By“ gerade erschienen ist, getroffen und über Burritos, New York und alte Zeiten gesprochen – als Tom Howie noch allein mit seiner Gitarre Singer-Songwriter war und Jimmy Vallance über die betrunkenen Kumpanen seiner Metal-Band stolperte.
Ihr wohnt ja zusammen. Wie sieht ein typischer Tag bei euch in New York aus, wenn Ihr nicht gerade auf Tour seid?
Jimmy: Wir wachen auf, machen Kaffee. Meist ist Tom der erste und fragt mich dann, ob ich auch einen will (lacht). Ich checke die News, wir quatschen darüber. Normalerweise fangen wir dann schon direkt an, Musik zu hören. Hier, kennst du dies schon, hast du das schon gehört? Dann ab ins Studio.
Tom: Bis zur Mittagspause – dann gibt's Burritos. Ich habe während der Albumproduktion mehr Burritos gegessen, als in meinem ganzen Leben zuvor.
Jimmy: Wenn du neun Burritos isst, bekommst du den zehnten umsonst. Irgendwann hatte ich gefühlt tausende von diesen Bonuskarten, ein Wunder, dass wir nicht viel fetter geworden sind. Wir haben die Existenz des Ladens für die nächsten zehn Jahre gesichert (lacht). Und das sind echt Riesen-Burritos, Mann. New-York-Style, und verdammt lecker. Der Tag beinhaltet immer einen Burrito.
Jimmy: „Jetzt kann ich alles alleine machen, meine Synthesizer und Drums sind nie betrunken und stolpern nicht.“
Ursprünglich kommt ihr ja aus Kanada, habt euch aber erst in New York in einer Parkbucht wiedergetroffen und angefangen zusammen zu arbeiten. Warum nicht schon damals in Vancouver – wo ihr doch auf der gleichen Highschool wart?
Jimmy: Ich war nicht cool genug für Tom (lacht).
Aber ihr wusstet schon voneinander, dass ihr beide Musik macht?
Jimmy: Ja das wussten wir.
Tom: Als wir beide angefangen haben, habe ich in einer Punk-Band gespielt, Jimmy in seiner Metal-Band. Daher haben wir auch nie was zusammen gemacht. Dann sind wir beide die Bandsache leid geworden. Ich habe angefangen, alleine zu spielen, Singer-Songwriter-Sachen zu schreiben und Jimmy machte Trance. Anfangs meinte er auch zu mir: Deine Songs sind verdammt nochmal viel zu ruhig, zu langsam. Ich brauche 130BPM.
Jimmy: 140!
Tom: Oh mein Gott 140 (lacht)!
Jimmy wie bist du denn vom Metal zum Trance gekommen?
Jimmy: Meine Mitmusiker waren wirklich gut, fühlten sich aber eher dem Drumherum verpflichtet, als der Musik selbst. Saufen und so.
Metal-Lifestyle.
Jimmy: Ja, genau. Metal-Lifestyle. Ich selbst wollte aber vor allem Drums spielen. Dann hat mir jemand eine CD gegeben, so eine melodische Mix-Compilation. Es war nicht wirklich Trance, eher in Richtung Progressive House, aber ich mochte das sehr. Und ich konnte es kaum glauben: Wow, das macht wirklich ein Typ komplett alleine? Und spielt das über Turntables? Man braucht für sowas keine Band? Ich müsste dafür nicht mit diesen Jungs abhängen? Gekauft, das mach ich (lacht). Jetzt kann ich alles alleine machen, meine Synthesizer und Drums sind nie betrunken und stolpern nicht. Es hat für mich also total Sinn gemacht.
Warum habt ihr euch New York als Wohnort ausgesucht? Es ist unglaublich teuer und vieles wirkt ein bisschen aufgesetzt oder elitär.
Tom: Das mag sein. Aber wenn man aus Vancouver kommt, dann ist die Auswahl der Musikstädte gar nicht so groß. Es gibt New York, L.A., London, Berlin, Austin.
Jimmy: Aber in New York gibt es unglaublich viele Leute, die die interessantesten Sachen machen.
Tom: Wir wollten mittendrin sein. New York City, das ist für uns der Ort, an dem alles passiert.
Hat New York sich dann sofort in eurer Musik niedergeschlagen? Ist das der Grund Jimmy, warum sich Trance in House verwandelt hat?
Jimmy: Auf jeden Fall! Ich habe mich dem aber auch schon in Vancouver angenähert, bin sehr auf deutsche Sachen abgefahren. Get Physical kam auch dort an, M.A.N.D.Y., Booka Shade, dann irgendwann Trentemøller. Aber New York war ja schon immer für seine House-Szene bekannt. Als ich dorthin gekommen bin, waren gerade Wolf + Lamb und Nicolas Jaar angesagt. Und die Brooklyn-House-Szene hatte natürlich großen Einfluss auf meine Musik. Wenn du da bist, dann fühlst du dich ganz schnell als Teil dessen und denkst: Vielleicht kann auch ich was dazu beitragen.
Tom: „Vocals in der Tanzmusik entsprechen viel zu oft einem billigen Klischee, wirken abgedroschen.“
Tom: Wir sind, was wir sind – auch und vor allem aufgrund von New York. Wir sind zu Partys und Shows in New York gegangen und Bob Moses ist gestartet, weil wir bestimmten Leuten begegnet sind und mit ihnen gearbeitet haben: Scissor and Thread, Francis Harris und andere. Wir sind ein direktes Nebenprodukt von New York City.
Gab es zu Beginn keine musikalische Kluft zwischen euch beiden, die erstmal überwunden werden musste?
Jimmy: Nicht wirklich. Zum einen kommen wir geographisch aus der gleichen Ecke. Und wir lieben die gleichen Dinge innerhalb der Musik. Der Grund warum ich mit elektronischer Musik angefangen habe, ist, weil ich Grenzen überschreiten wollte. Aber gleichzeitig liebe ich Songs, Akkordfolgen. Und das Minimale der elektronischen Musik: Wie bekommst du Kick, Clap und Hi-Hat so hin, dass es interessant klingt? Und wenn du das mit interessantem Songwriting und tollen Lyrics kombinierst, dann kann etwas Großartiges entstehen.
Tom: Wir betrachten Musik auf die gleiche Art und Weise. Egal ob wir Teil einer Band waren oder allein für uns Musik gemacht haben: Wir beiden waren immer die, die Ideen aufgeschrieben, produziert, die umgesetzt und geschaffen haben. Bevor wir uns getroffen haben, hatte ich nie jemanden, der auch meine Arbeit mitgemacht hat. Ich habe alles allein gemacht und anderen gesagt, was sie spielen sollen. Als ich dann angefangen habe, mit Jimmy zu arbeiten, fühlte sich das an, als hätte ich endlich einen gleichwertigen Partner gefunden. Wenn ich nicht weitergekommen bin, hat er übernommen, es hat sich schnell eine wechselseitige Beziehung entwickelt. Das gab es vorher für mich nicht.
Wir geht ihr denn an eure Produktion heran? Konzeptionell oder entwickelt sich ein Track aus einer Jam Session?
Tom: Einige der Sounds auf unserem Album sind mehr das Ergebnis von Jam Sessions als andere. Es gibt den Song „Touch and Go“ der am Ende diesen Rock-Teil hat, wenn der große Synth-Sound reinkommt. Und der ist schon sehr zufällig entstanden: Ich saß am einen Ende des Raums und hab an den Knöpfen gedreht, Jimmy am anderen Ende am Piano. Wir wussten nicht, was der jeweils andere gerade macht, aber so sind wir zu dem Sound gekommen. Jamming bedeutet für uns letztlich Spontanität und dieses Element ist uns schon sehr wichtig, auch wenn meist eine Idee, eine coole Akkordfolge oder ein Drum-Pattern als Grundlage dient.
Wenn man sich klassische Singer-Songwriter-Musik oder Punk oder Rock oder irgendwas anderes anhört, dann ist es meist so, dass Produktion und Lyrics Hand in Hand gehen, sich gegenseitig unterstützen. Deshalb schwenkt das Publikum bei traurigen oder romantischen Songs die Feuerzeuge und tanzt Pogo, wenn es abgeht. Bob Moses hat hingegen einen starken Kontrast zwischen Lyrics – ernst, emotional – und Produktion – geht nach vorne, ist sehr gut tanzbar. Ist es nicht komisch, wenn du dein blutendes Herz ausschüttest und die Leute dazu tanzen?
Tom: Kein bisschen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir angefangen haben. Ich habe damals direkt gefühlt, wie gut der elektronische Sound zu meiner Stimme, zu meinem Gesang passt. Ich habe eine weiche Stimme, mit der du nicht so einfach gegen ein klassisches Punk- oder Rockinstrumentarium ansingst. Aber zu dieser elektronischen Musik, sehr klar, differenziert, passte das sofort.
Jimmy: Und in den Lyrics kannst du letztendlich nur beschreiben, was du weißt und kennst und was dich prägt. Sonst ist es Fake, und klingt auch nicht authentisch. Man kennt das ja gerade aus der Tanzmusik: Vocals, die irgendwie billig klingen.
Tom: Genau darum geht es. Lyrics in der Tanzmusik entsprechen viel zu oft einem abgedroschenen Klischee. Das wollen wir nicht. Unser Sound ist ja eher stimmungsvoll und düster, da passen die düsteren Lyrics dann auch wieder.
Es funktioniert dadurch ja auch in unterschiedlichsten Kontexten: Wenn du zu Hause sitzen willst, kannst du die Musik ebenso genießen, wie beim Tanzen auf einer Party.
Tom: Die Leute sagen zu uns nach der Live-Show: Ich habe eure Musik bisher nur zu Hause gehört und ich dachte es würde ruhig und entspannt. Aber live ist hat es richtig Power und haut rein. Das meine ich auch, wenn ich von der Tiefe unsere Musik spreche. Es ist obenauf stimmungsvoll und sanft, hat von unten aber richtig Power.
Ein wenig hat mich eure LP auch an Darkside erinnert. Gehören Nicolas Jaar und Dave Harrington zu eurem New Yorker Dunstkreis?
Jimmy: Wir haben Nicolas Jaar ein oder zwei Mal getroffen, er ist bei der gleichen Agentur.
Tom: Darkside sind großartig. Wir haben auch in Barcelona mit denen gespielt.
Jimmy: Wir haben diesen Song „I Ain't Gonna Be The First To Cry“ geschrieben, der letztes Jahr erschienen ist. Die Skizze hatten wir bereits vor zwei Jahren für einen Podcast aufgenommen, bevor wir Darksides „Psychic“ zum ersten Mal gehört hatten. Beide Songs klingen sehr ähnlich. Das liegt an diesem allgegenwärtigen Blues-Einfluss in New York. Menschen leben am gleichen Ort, gehen zu den gleichen Partys, treffen die gleichen Leute. Das schlägt sich nieder. Und dann hören wir auch noch gegenseitig unsere Platten an.
Ihr verbringt so viel Zeit zusammen. Habt ihr beiden nie die Schnauze voll voneinander?
Jimmy: Ich will nicht kitschig klingen aber „Too Much Is Never Enough“ (lacht).
Tom: Manchmal sagt Jimmy solche Sachen und ich denke nur: Oh. My. God. (Lacht). Eigentlich ist es, wie einen Bruder zu haben. Aber wir kommen gut damit klar, wenn einer mal genervt ist. Na klar haben wir auch diese Momente.
Jimmy: Zu viel Milch in meinem Kaffee! Fuck you! (lacht).
Tom: Wir haben fast immer eine gute Zeit, viel Spaß, es ist echt verrückt. Gestern Morgen kamen wir vom Flughafen zurück, völlig übermüdet, aber wir konnten nicht aufhören zu lachen. Wir saßen im Hotelzimmer und wurden für bescheuert gehalten: Was zu Hölle ist mit diesen Typen los (lacht)? Kein Saufen, keine Party, keine Drogen, nur übermüdet und völlig fertig.
Es gibt hier das Sprichwort: Nach müde kommt blöd.
Jimmy: Oh cool, das trifft es.