„Etwas Konkretes in der Musik verarbeiten zu müssen, war eine neue Erfahrung“Aera im Interview

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Die Musik von Ralf Schmidt ließ sich noch nie wirklich eindeutig kategorisieren. So farbenfroh das Artwork seiner Maxis und EPs auf seinem eigenen Label „Aleph Music“, so schillernd und immer wieder mäandernd die Tracks, die den Dancefloor oft genug von bislang unerforschten Positionen aus anstrahlten – ob allein im Studio, mit Henry Behring als Goldwill, zusammen mit Till von Sein oder auch auf Labels wie Innervisions oder Hivern Discs. Und natürlich als DJ und Remixer. 2013 setzte Aera mit seinem ersten Album „Offseason Traveller“ ein wichtiges Ausrufezeichen. Nun erscheint „The Sound Path“ auf Permanent Vacation, ein flirrendes Werk mit noch mehr Abzweigungen, Umleitungen und Überraschungen für die tanzende Post-Everything-Welt. Im Interview erzählt der Berliner von einschneidenden Veränderungen, seiner Rolle als Zuhörer, der bewussten Abgabe von Kontrolle und über erste Impulse, die oft die besten sind.

Es gibt ja diese bekannten zwei Lager unter Musikern. Die einen sagen: Wenn ich produziere, kann ich unter gar keinen Umständen andere Musik hören. Und die anderen brauchen genau diesen Input, während sie im Studio sind.
Ich muss mich ja schon berufsbedingt zweiteilen. Ich bin ja auch DJ, der am Wochenende unterwegs ist, der dafür sorgt und sorgen möchte, dass die Menschen tanzen. Ich will da unbedingt am Ball bleiben, diese Situation inspiriert mich immer wieder aufs Neue, auch wenn ich einfach nur ausgehe. Sobald ich im Studio bin, sind diese Momente aber plötzlich ganz weit weg. Das funktioniert ganz gut. Dieses unmittelbare Reflektieren – wie könnte das, woran ich gerade arbeite, im Club funktionieren – findet bei mir nicht statt.

Man kommt doch aber auch nicht mehr so inspiriert aus dem Club heutzutage, oder?
Ich mache diese Erfahrung immer noch regelmäßig, doch doch. Ich wüsste auch nicht, was passieren würde, wenn das nicht mehr so ist – als Party-Gänger und als DJ. Das stelle ich mir sehr schwierig vor.

Das neue Album ist ja auch kein Techno.
Nicht wirklich, nein.

„Ich weiß, das „persönliche Album“ ist ein Klischee, aber die Platte ist genau das.“

Dein erstes Album – „Offseason Traveller“ – war geprägt von den Eindrücken und Erfahrungen, die du über sechs Monate in Südamerika gesammelt hattest. Gab es für „The Sound Path“ einen vergleichbaren Auslöser?
Ich wollte schon lange ein zweites Album machen. „Offseason Traveller“ ist ja mittlerweile schon fünf Jahre alt. Zunächst fehlte mir aber einfach die Zeit, mich auf so ein Projekt konzentrieren zu können. Bis Ende 2016 habe ich Vollzeit bei Native Instruments gearbeitet. Zwischendurch hatte ich mir ein Sabbatical genommen und bin für sechs Monate nach La Gomera – mein Equipment nahm ich mit. Da habe ich wahnsinnig viel Musik gemacht, bin aber danach wieder in den Job eingestiegen. Bis Ende 2016. Dann passierte sehr viel in ganz kurzer Zeit – beruflich, vor allem aber privat. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich das überhaupt zum Thema machen will und kann, wenn es um die neue Platte geht, dabei aber schnell gemerkt, dass es gar nicht anders geht. Zu diesem Zeitpunkt starb auch mein Vater. Er ist sehr alt geworden, wir hatten immer ein tolles Verhältnis, und er hat mich gerade in der Musik auch unglaublich unterstützt. Dazu kam die politische Situation. Ich hatte das Gefühl, immer nur zwischen Black Mirror und House Of Cards zu pendeln, nur dass das eben plötzlich real war. Dieses Zusammentreffen eigentlich ganz unterschiedlicher Dinge und Gegebenheiten hat dazu geführt, dass ich das ganze Frühjahr 2017 komplett im Studio verbracht habe. Um für mich einen Weg zu finden, wie ich mit dieser neuen Situation umgehen kann. Ich weiß, das „persönliche Album“ ist ein Klischee, aber die Platte ist eigentlich genau das.

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Aera The Sound Path Artwork

Aera, The Sound Path, erscheint am 6. April auf Permanent Vacation.

Ach, Klischees. Da ist doch schon was dran: Kunst kommt nicht von glücklichen Menschen.
Es geht um tiefe Empfindungen – die müssen gar nicht nur negativ besetzt sein. Ich habe mich um meinen Vater gekümmert, bevor er starb und erinnere die Zeit als sehr intensiv. Das war dann in aller Trauer ein schöner und positiver Abschied von ihm. Gefühle geben immer den Ausschlag. Und klar, negative Empfindungen haben eine besonders große Energie und führen zu interessanter Kunst. Für mich war das ein Wendepunkt. Bis dahin hatte ich Musik vor allem deshalb gemacht, weil ich es toll fand. Dieses Gefühl zu haben, ich drücke da jetzt auf einen Knopf und dann passiert was, ich kann mir so meine eigene Welt erschaffen, das war schon genug. Aber etwas Konkretes verarbeiten zu müssen, das war neu.

Du hörst deinen Maschinen gerne zu. Die Tracks haben jenseits des Kompositorischen ein Eigenleben. Da sind die vielen Arpeggios, aber auch andere Sequenzen, die oberflächlich nur mitlaufen, dabei aber ganz eigene Geschichten erzählen.
Ich höre wirklich gerne zu, das stimmt. Was einerseits mit meiner Arbeitsweise zu tun hat.

Ich habe Routine und bin ziemlich schnell im Anlegen und in der Umsetzung von Ideen. Genau das führt dazu, dass ich oft genug die Rolle des Zuhörers einnehme und mich frage, woher das eigentlich alles gerade kommt. Ich mag diese Momente sehr.

Denn danach fängt die Arbeit eigentlich erst an: das Vorhandene in Form zu bringen. Arpeggios begleiten und faszinieren mich tatsächlich schon seit meiner Kindheit. Wir hatten eine elektrische Orgel zu Hause – mit Rhythmusbox und Arpeggios. Ich saß oft stundenlang an der Orgel und habe einfach ein paar Tasten gedrückt und geschaut, was passiert. Mit solchen Elementen und Techniken zu arbeiten, bedeutet für mich auch, Kontrolle abzugeben. Man füttert Ideen, Noten, Harmonik hinein und was dann dabei herauskommt, liegt nicht mehr wirklich in meiner Hand. Es geht mir dabei nicht um das vermeintlich Zufällige. Das System hat Regeln und eine Logik, auch wenn sich die Melodie erst nach krummen 27 Takten wiederholt.

Gibt dir dieses Prinzip Sicherheit?
Es ist eher gut für meine Aufmerksamkeit.

À propos: Das neue Album erscheint bei Permanent Vacation.
Auch das geht auf meine Zeit auf La Gomera zurück. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich Tracks rumgeschickt habe an andere Labels. Davor habe ich mich um alles selber gekümmert und veröffentlicht, wenn es gepasst hat – auch das erste Album. Als die neue Platte dann mehr oder weniger fertig war, habe ich die Tracks an Permanent Vacation geschickt. Wir waren schon lange in Kontakt und dieses Mal haben sie sofort ja gesagt. Machen wir. Genau so.

Das passt ja gut. Dein Album entwickelt sich so schnell in so viele unterschiedliche Richtungen, dass man es nicht in eine bestimmte Schublade stecken könnte. Bei Permanent Vacation geschieht genau das Gleiche.
Es gibt da schon Überschneidungen, sonst hätte ich ihnen die Tracks ja nicht geschickt. Gerade bei den Alben und Compilations ist praktisch alles gut, finde ich.

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Ein Autoren-Label. Die Zeit der Disco-Edits ist vorbei.
Das erste Album überhaupt auf Permanent Vacation war ja lustigerweise eine Reissue, eine Platte von Antena, die 1982 ursprünglich auf Les Disques Du Crépuscule erschienen war. Genau die Platte hatte ich auf La Gomera die ganze Zeit gehört. Die Zusammenarbeit war aber auch jenseits der Musik ganz wunderbar. Das Artwork des Album basiert auf Fotos, die mein Vater gemacht hat – das war überhaupt kein Problem.

Ist es besser, wenn Label-Betreiber selbst keine Künstler sind und sich so weniger einmischen, bewusst oder unbewusst?
Ich hatte manchmal bei Remixen dieses Gefühl. Da sitzt jemand, der findet ein ganz bestimmtes Stück von mir gut und fragt dann einen Mix an. Und hat im Kopf, dass ich genau diesen Track nochmal abliefere. Das klappt natürlich nicht.

Es ist total toll, wie du gen Ende des Albums noch die ganz große Geste auskippst.
Ich glaube, dass es da manchmal ein bisschen mit mir durchgeht. Wenn ich aufnehme, nehme ich mich in keinster Weise zurück. Das hat vielleicht mit meiner Rolle als Zuhörer zu tun. Oder ich bin genau dann nicht der Beobachter, der verschwindet dann einfach. In solchen Momenten kann das schon passieren. Da gehen beim Modulieren die Pferde mit mir durch und frage mich, wo das denn jetzt gerade herkommt. Auch das wird eingebaut. Natürlich.

Wenn du also deinen ganz persönlichen Vangelis auspackst und der dabei stolpert, ist das nicht schlimm.
Geht es um das letzte Stück?

Unter anderem.
Ich habe schon von einigen Leuten gehört, dass sie das letzte Stück an diesen Bladerunner-Blues erinnert. Kann ich nachvollziehen.

Ein großer Moment, der ja auch musikhistorisch interessant ist – nach dem Debakel um den Soundtrack für den zweiten Film. Zudem ein schöner Moment.
Ich bewundere Menschen, die solche Harmonien einfach spielen können. Das ist bei mir nicht so intuitiv, ich muss viel ausprobieren. Ich will da noch viel besser werden und mich mehr mit Harmonielehre beschäftigen. Aber dann denke ich auch wieder: Das ist doch das Gleiche wie mit der Musiktechnik. Dass es eben keine gute Idee ist, immer bei allem am Ball zu bleiben und alles beherrschen zu können. Letztlich ein Balance-Akt. Mein Set-up im Studio ist schon seit langer Zeit mehr oder weniger gleich. Ich versuche ab und zu, neue Geräte mit einzubinden, lande aber immer wieder bei den Tools, die ich gut kenne. Ich brauche einen schnellen Workflow, will Resultate und mich nicht in dem Prozess der Umsetzung aufreiben. Da hilft es schon, wenn man sein Handwerkszeug kennt.

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Aber eine Art Diktat von außen gibt es ja schon. Laptops sind cool, dann wieder nicht. Oder sich mit Modularsystemen zu beschäftigen.
Ich hatte mir tatsächlich mal ein System ausgeborgt. Um herauszufinden, ob ich so eine sich selbst generierende Melodie patchen kann. Das habe ich dann einen Nachmittag lang gemacht und war zufrieden. Die nächsten Wochen stand das System dann nur noch in der Ecke und hat gut ausgesehen. Aber in meine Arbeitsweise konnte ich das nicht integrieren. Ich erinnere mich an ein Video von irgendeinem EDM-Produzenten. Der saß in seinem Studio, hatte eine Melodie eingespielt und klickte sich einfach nur durch Presets, um den passenden Sound zu finden. Das hat mich fasziniert, weil seine Melodie so auf ihn den gleichen Effekt hatte, wie auf den Hörer, der den Track zum ersten Mal hört. Ich mag diese Idee.

„Das ist ja die große Herausforderung für Musiker. Sich erst in einem Stück vollkommen zu verlieren und dann wieder einen Schritt zurückzutreten, um es objektiv zu beurteilen.“

Gut, dass ich selber noch so frische Ohren habe, das Ergebnis von außen betrachten zu können und mich mitnehmen zu lassen. Das ist ja die große Herausforderung für Musiker. Dass man sich in einem Stück erst vollkommen verlieren, dann aber auch wieder einen Schritt zurücktreten kann, um es einigermaßen objektiv beurteilen zu können. Ich glaube, das mir das mit meiner vergleichsweise schnellen Arbeitsweise gelingt. Und ich bin davon überzeugt, dass die erste Idee, der erste Impuls der beste ist.

Man muss seine eigene Musik ja auch ertragen können. Will sagen: Wenn man lange mit einer Idee zugange ist und sie nach mehreren Stunden immer noch gut findet, kann sie so schlecht ja nicht sein.
Ich nenne das den Basic-Channel-Ansatz. Und ich mache das tatsächlich auch mit meinen Tracks, höre mir das immer und immer wieder an, in den unterschiedlichsten Situationen. Dieser erste rush muss schon hinterfragt und bearbeitet werden. Wenn ich zurückdenke, dann kann ich aber sagen: Die Stücke, mit denen ich noch heute am glücklichsten bin, und auch die, die am erfolgreichsten waren – das sind die, die an einem Nachmittag entstanden sind.

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