Ecuador: Mehr als eine BananenrepublikInterview: Koral Elci von der Kitchen Guerilla

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Alle Fotos: Seren Dal / www.seren-dal.com

Gemeinsam mit seinem Bruder Onur betreibt Koral Elci die Kitchen Guerilla, eine mobile Kocheinheit, die für ihre Food-Events kein eigenes Restaurant benötigt, sondern am liebsten fremde Küchen kapert oder ausgefallene Locations besetzt. Regelmäßig machen sich die beiden Hamburger auf die Reise in ferne Länder, um sich dort für neue Guerilla-Gerichte inspirieren zu lassen. Tim Schenkl hat Koral getroffen, um uns von seinen neuesten kulinarischen Abenteuern berichten zu lassen: Die führten die Gebrüder Elci ins südamerikanische Ecuador. Ein Gespräch über Esskultur, Klöße zum Frühstück und darüber, ob Ecuador das neue Peru ist.

Koral, du kommst gerade von einer längeren Ecuador-Reise wieder. Welchen Eindruck hast du von dem Land gewonnen, wie würdest du die lokalen Essgewohnheiten beschreiben?

Ich war schon schon öfters in Südamerika und habe eine Zeit lang in Argentinien gelebt. In Ecuador war ich aber zum ersten Mal. Als wir ankamen, wurden wir sehr offen und gastfreundlich empfangen. Die Leute waren total entspannt. Man kriegt dort nicht so viel mit von den weltpolitischen und sozialen Spannungen, die in Deutschland unseren Alltag beherrschen.Unsere erste Station war Quito, die Hauptstadt Ecuadors. Eine Großstadt mit über zwei Millionen Einwohnern. Die Leute essen dort Hausmanns-Style: simple Gerichte mit einfachen Zutaten. Die einzelnen Komponenten sind super frisch, weil quasi nichts aus den Ausland geholt werden muss und alles von Ort angebaut und produziert wird. Egal was man isst, diese Frische schmeckt man sofort. Alles ist durch die viele Sonne so richtig knackig und saftig. Mit Gewürzen wird nicht so viel gearbeitet: ein bißchen Kumin und Schärfe, fertig. Es wird viel Fleisch gegessen, dazu Getreide, verschiedene Maissorten und unterschiedliche Hülsenfrüchte. Die typischen Franchise-Ketten gibt es natürlich in Quito auch, aber bei den Einheimischen steht die lokale Küche eindeutig im Vordergrund.

Gibt es starke regionale Unterschiede?

Das Essen ist überall sehr ehrlich und einfach. Im Andenhochland wird viel Mais und Quinoa angebaut sowie die für die Küche Ecuadors sehr typische Baumtomate. An der Küste wird deutlich mehr Fisch konsumiert, außerdem wird hier sehr viel mit Bananen gekocht. Am meisten haben mich persönlich aber die tropischen Früchte fasziniert. Es gibt eine Riesenauswahl! Frische Früchte und leckere Säfte werden eigentlich überall am Straßenrand angeboten.

Koral und Onur

Onur und Koral Elci von der Kitchen Guerilla

Foodie-Paradies Südamerika

Momentan gibt es in Europa einen Südamerikatrend. Vor allem peruanische Ceviche-Läden schießen überall aus dem Boden. Hast du das Gefühl, dass Ecuador das Potenzial hat, das „next big thing“ der internationalen Foodie-Community zu werden?

Ich denke, dass Peru eine solch starke Anziehungskraft auf die internationale Food-Szene hat, weil das Essen dort ein wenig an die japanische Küche erinnert, die in Europa und Nordamerika schon seit langem bekannt und beliebt ist. Peru war in Sachen internationaler Vermarktung der Vorreiter für Südamerika, ich glaube aber, dass auch Nachbarländer wie Ecuador sowie andere südamerikanische Staaten sehr viel Potenzial besitzen. Die Küche Ecuadors entwickelte sich aus der Inkakultur und weist starke spanische Einflüsse auf. Das ist total spannend. Am Ende muss man jedoch sagen, dass die Essgewohnheiten in den unterschiedlichen Ländern der Region gar nicht so weit auseinanderliegen und es Peru vor allem gelungen ist, sich besonders gut im Ausland zu vermarkten.

Welche kulinarischen Entdeckungen hast du gemacht, gab es auch Negativerlebnisse?

Ich steh' total auf Meeresfrüchte und bin großer Ceviche-Fan. An der Westküste habe ich eine geniale Variation dieses Gerichts mit gekochten Garnelen und Baumtomate gegessen. Das war der Hit: sehr fruchtig und lecker. Ich war außerdem total angetan von der Art des Kochens in Cuenca. Ein Koch, Juan Solano, hat mich besonders beeindruckt: In seinem Restaurant „Tiestos“ kocht er mit kleinen Tontöpfen – ähnlich wie Tajine. In diesen werden Garnelen, Fleisch und Gemüse frisch zubereitet und dann wie Mezze oder Tapas ganz einfach in die Mitte des Tisches gestellt.
Mit Tamales bin ich erst beim zweiten Anlauf richtig warm geworden. Als wir das zum ersten Mal gegessen haben, dachten wir: „Was ist das für eine in ein Bananenblatt gewickelte Maismehl-Pampe?“ In Cuenca waren wir dann bei dieser alten Dame, die als die Tamales-Göttin gilt, weil sie das Gericht bereits seit dem Teenageralter quasi täglich zubereitet. Sie arbeitet mit sehr aromatischer Brühe und viel Schweinefett und erzeugt so eine fantastische Würze. Einfach der Knaller! Saftig und geschmacksintensiv zugleich. Das hat mich geflasht.

Womit ich gar nicht klargekommen bin, worauf die Menschen in Ecuador jedoch sehr stolz sind, waren die Bolones. Das sind süße Kochbananenklöße, die häufig zum Frühstück angeboten werden. Als uns gesagt wurde: „Kommt, lasst uns mal super frühstücken gehen“, und dann kamen plötzlich diese Klöße, die teilweise auch mit Käse oder Speck gefüllt waren … nicht meins. Ich mag lieber meine Art von Frühstück mit Brot, Käse, Schinken und so weiter – also sehr deutsch – oder aber italienischen oder französischen Style.

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Die „Tamales-Göttin“ Doña Zoila bei der Arbeit

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Die Menschen in Ecuador sind offensichtlich sehr stolz auf die Qualität ihrer Produkte. Wird in dem Land auch viel für den Export produziert?

Die ecuadorianischen Garnelen sind international gefragt und sind für ein Zuchtprodukt von äußerst hoher Qualität. Auch der Nacional-Kakao ist weltweit berühmt. Er ist sehr fruchtig und zeichnet sich durch eine feine Bitternote aus. Verwundert hat mich, dass, obwohl Ecuador ein sehr wichtiger und großer Kakao- und Thunfischexporteur ist, beide Produkte in der lokalen Küche fast nicht vorkommen. Man isst mal eine Stück Schokolade, aber das war es dann auch schon fast. Thunfischgerichte sind mir auch keine untergekommen.

In Italien und Frankreich und in vielen asiatischen Ländern bekommt man leicht das Gefühl, dass das gesamte Leben sich um das gemeinsame Essensritual strukturiert. Wie ist das in Ecuador? Welche Rolle spielt die Essensaufnahme im Alltag?

Ich sag es mal so: Das gemeinschaftliche Essen steht in Ecuador sozial vielleicht nicht ganz so stark im Mittelpunkt wie in Thailand oder Italien. Trotzdem ist man aber immer und überall von Essen umgeben. Das ist besonders auf der Straße augenscheinlich, wo überall frisches Obst und Gemüse angeboten wird. Außerdem wird natürlich auch viel draußen gegessen und gekocht. Man bekommt gegrilltes Fleisch, ein bißchen Gemüse, dazu Obst – eine komplexe Zubereitungsart spielt dabei kaum eine Rolle. Mein Eindruck war, dass die Menschen in Ecuador sich insgesamt weniger für gastronomische Konzepte interessieren und stark auf die einzelnen Zutaten fixiert sind.

Momentan scheint sich gerade so etwas wie eine Foodie-Szene zu entwickeln.

Ich hatte die Möglichkeit, sehr viele verschiedene Köche und Restaurants in den unterschiedlichen Regionen kennenzulernen. Dabei habe ich beobachtet, dass die junge Generation von Köchen gerade dabei ist, sich stark mit lokalen Produkten und Zubereitungsarten auseinanderzusetzen und eine ganz eigene traditionelle und trotzdem moderne Küche zu entwickeln. Die jungen Köche geben sich unheimlich viel Mühe haben total Bock darauf, die Gerichte auch im Ausland zu präsentieren.

So auch Juan José Moránd aus Guayaquil. Der kocht in seinem Laden „La Pizarra“ tolle Tapas-Spezialitäten. Man bekommt viele kleine Tellerchen und hat so die Möglichkeit, mehrere Sachen an einem Abend zu probieren. Im „La Pizarra“ haben wir Lamm, Taschenkrebse, Garnelen, verschiedene Gemüsesorten und „gepimpte“ Früchte gegessen. Wirklich genial! Juan hat großen Spaß daran, sich auch mit Hilfe der sozialen Medien einen Namen zu machen und betreibt einen Instagram-Account mit mehr als 30.000 Followern.
In Ecuador werden momentan auch viele Food-Festivals organisiert. Es hat sich außerdem eine sehr aktive Craft-Beer-Bewegung gebildet und immer mehr ausländische Köche werden zu Veranstaltungen eingeladen und kooperieren mit den vor Ort ansässigen Küchenchefs.

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Drei Köstlichkeiten aus dem „La Pizarra“

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Bei uns in Deutschland wird die Banane zumeist als Fruchtsnack zwischendurch verzehrt. In Ecuador hat das Obst einen ganz anderen Stellenwert, oder?

Soviel ich weiß, gibt es in Ecuador mindestens elf verschiedene Bananensorten. Die Kochbanane wird vor allem für würzige Speisen verwendet, sie ist sozusagen die Kartoffel Ecuadors und wichtiger Bestandteil von vielen Fisch- und Fleischgerichten. Bananenkuchen ist auch sehr beliebt, für diesen kommt zumeist auch Schokolade zum Einsatz.

Welche Zutaten haben dich besonders fasziniert und dich vielleicht dazu inspiriert, sie in Zukunft bei einer Kitchen-Guerilla-Aktion zu verwenden?

Ich habe mich total in die Baumtomate (Tomatillo) verknallt. Sie hat eine etwas härtere Schale und erinnert äußerlich ein wenig an eine große Pflaume. Die Naranjilla finde ich auch super. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Orange und Tomate und hat einen süßsauren Geschmack. Der Umgang mit Bananen war für mich ebenfalls sehr inspirierend. Palmherzen kann man hier ja vor allem eingelegt aus der Dose essen. In Ecuador habe ich sie frisch bekommen. Richtig geil! Spannend fand ich auch Limonade aus dem Fruchtfleisch der Kakaopflanze: äußerst erfrischend und sehr, sehr lecker.

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Quinoa-Feld im Andenhochland

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Limette, Avocado und Baumtomate

In Europa gilt Quinoa als Superfood. In Ecuador gehört es zu den Grundnahrungsmitteln und ist nicht wirklich etwas Besonderes, richtig?

Ja. Quinoa ist in Ecuador wirklich überhaupt nichts Besonderes. Als die Pflanze im Ausland so berühmt wurde, ergab sich für die Einheimischen schnell ein Problem. Quinoa wurde plötzlich vor allem zu einem Exportprodukt und war im Land selbst nur noch schwer zu bekommen. Die ecuadorianischen Hersteller versuchen jedoch bereits seit einiger Zeit, dieser Entwicklung entgegenzusteuern und setzen darüber hinaus immer mehr auf Fairtrade-Produktion.

Wart ihr auch mal ganz normal im Supermarkt einkaufen?

Ja, die sind teilweise riesig. Doch in den normalerweise spannenden Ecken wie der Käse-, Wurst- und Gourmetabteilung findest du in Ecuador kaum etwas Interessantes. Da stehst du dann vor einer riesigen Kühltheke mit nur einer Sorte Käse von zehn verschiedenen Produzenten. Zwanzig Meter weiter bist du dafür im Paradies: Die Auswahl in der Obst- und Gemüseabteilung ist absolut gigantisch. Da gibt es bestimmt fünfzig verschiedene Sachen, die du alle sofort mitnehmen willst. Das hat mich glücklich gemacht.

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Supermarkt in Bucay

Über welche Produkte kann man sich dem Land kulinarisch leicht und gut annähern?

Eine Annäherung an die Küche Ecuadors lässt sich in Deutschland besonders gut über die Kochbanane herstellen, die man hier überall kaufen kann. Ich mag außerdem sehr gerne Chifle. Das sind gebackene, salzige Chips aus Kochbanane oder der Yuca-Pflanze, die deutlich weniger fettig sind als unsere Kartoffelchips. Auch Chifle bekommt man in Deutschland mittlerweile relativ einfach. Ebenfalls ganz typisch und superlecker ist Ají, eine scharfe Soße aus Glockenchillis, Baumtomate, Koriander, Salz und roter Zwiebel, die man in Ecuador überall angeboten bekommt – dabei handelt es sich quasi um den Ketchup Ecuadors. Passt wunderbar zu Fisch oder Fleisch und lässt sich ganz leicht selbst zubereiten.

Im Blog der Kitchen Guerilla gibt es viele Rezepte, Foodstorys, Restauranttipps sowie Tickets für kommende Foodevents.

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