„Es ist kein bloßes Feiern“Der Fotograf Constantin Grolig dokumentiert illegale Raves im Ruhrgebiet

Raven

Clubkultur und das Raven sind immer an Transgression, an Auflösung und das Verschwinden gekoppelt. Ob dystopisch oder utopisch konnotiert, fluide werden die Körper, Identitäten und Räume im Rave. Der Dortmunder Fotograf Constantin Grolig geht auf die Suche in den Brachländern der Hoffnung auf ein anderes, unbekanntes, vielleicht sogar besseres Leben. Es wird als unbestimmtes Gelände in fahlen Bildern lesbar.

In den Untergrund gehen kann verschiedene Gründe haben: als Teil einer bewussten Strategie, zum Beispiel gegen kapitalistische Strukturen (Marcel Duchamp), als Sinnsuche, Weltflucht oder als Reaktion auf gesellschaftliche Ereignisse. Was die Macher*innen illegaler Partys im Ruhrgebiet vor und während der Corona-Krise antreibt, das bleibt in den Bildern Groligs offen. Die Momentaufnahmen zeigen sich jedoch klar als eine Einübung von Utopie, die – wenn sie schon nicht in größeren Massen gesamtgesellschaftlich in einem Club realisierbar und in Zeiten der Pandemie verboten sind – zumindest flüchtig und auf individueller realisierbar erscheint. Die Objekte, Materialien, Substanzen, Lichter und auch Menschen, die nur teilweise auf den Fotos zu finden sind, werden von ihm nah gezeigt. Jede Situation wirkt intim und ungestellt. Die Details des Raves umschwirren eine Art von Müdigkeit gepaart mit der Unschärfe und Rauschhaftigkeit einer ausgiebigen Sause im Zwischenland. Grolig fotografiert Leute, die eigentlich nicht da sind. Dafür greift er auf Stimmungen zurück, die einen illegalen Rave begleiten. Die Ausschnitte, welche er teilweise von seinen Aufnahmen mit analoger Kleinbildkamera benutzt, wirken verspielt, schmutzig und melancholisch zugleich, so als wenn ihnen der Geist einer Instant-Nostalgie innewohnen würde.

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Raver als Gespenster, oft nur an ihren Spuren erkennbar, haben eine Stimme. Ihr gesellschaftlicher (Selbst-)Ausschluss ist in den Bildern des jungen Fotografen anzuschauen und damit nicht unsichtbar. Die nur scheinbar unabhängigen Sphären des Privaten und Öffentlichen vermischen sich auf mehreren Ebenen im Werk Groligs. Die private Entscheidung, in den post-industriellen Grauzonen zu tanzen, ist zugleich eine politische, da sie – unbewusst oder bewusst - Reaktion auf Gesellschaft ist; sie ist eine Gouvernementalität des Selbst (Foucault). Diese Durchdringung verstärkt sich dadurch, dass die Momente des Verschwindens im künstlerischen Foto gestaltet und öffentlich konserviert werden.

Was auf den Aufnahmen zu sehen ist, dies ist Existenz und Nicht-Existenz. Dortmund hat eine Tradition mit den Topoi und Strategien des Verschwindens, wie sie z. B. in den großen Ausstellungen „Gone To Croatan – Strategien des Verschwindens“ (kuratiert von Robert Rumas und Daniel Muzyczuk 2011 beim HMKV im Dortmunder U) und „Vom Verschwinden. Weltverluste und Weltfluchten“ (kuratiert von Inke Arns und Ute Vorkoeper 2005 beim HMKV in der PHOENIX Halle Dortmund) thematisiert wurden. Das Private und der Rave sind politisch, immer – und dabei mit einem tragischen Augenblick verbunden. Die Überschreitung von Identität, Grenzen, Verboten, Individualität (Bataille) hinein in Sound und das terrain vague ist an Überwindung und Risiko gekoppelt, was Grolig in seiner preisgekrönten Fotoreihe „Luise“ bereits anfing zu akzentuieren. Zeit, mit Constantin Grolig über seine Rave-Fotografien zu sprechen.

Wie ist deine Beziehung zur Musik? Warum hast du dir genau dieses Spielfeld für deine Fotografien ausgesucht?

Meine Beziehung zu Musik ist sehr divers. Ich habe früh angefangen, mich mit unterschiedlichen Musikgenres auseinanderzusetzen. Am Ende des Tages bin ich jedoch oft bei elektronischer Musik gelandet. Als ich für mein Studium nach Dortmund gezogen bin, habe ich sehr früh von der Szene hier mitbekommen und freute mich sehr, wenn ich rechtzeitig von einem der Raves mitbekommen habe. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich dazu Zugang bekommen habe. Gerade am Anfang des Studiums bin ich oft alleine dort hingegangen und habe so interessante Menschen kennengelernt und tolle Abende erlebt. Einer der Gründe, warum ich die Raves so schätze, ist – neben der Musik – dass es kaum Gewalt bei solchen Veranstaltungen gibt. Zudem steckt oft sehr viel Herzblut in der Umsetzung. Es ist ein anderes Gefühl als in Clubs, wo man je nach Location oft von Gewalt und Diskriminierung mitbekommt. Diese Aspekte haben mich motiviert, das Thema der illegalen Raves fotografisch anzugehen.

Woher bekommst du deine Information von den illegalen Raves?

Das ist unterschiedlich. Ich möchte nicht meine Quellen offenlegen. Mal sind es Informationen durch Begegnungen mit den Veranstalter*innen, mal sind es Posts via Instagram oder Facebook. Eine Sicherheit, ob die Veranstaltungen wirklich stattfinden, ist fast nie gegeben. Aber ich glaube, genau das ist es, was es abenteuerlich macht und nie gleich werden lässt.

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Deine Motive, wie findest du sie? Auf den Raves ist es ja wichtig, unauffällig zu arbeiten.

Ich habe das große Glück, das nicht als Arbeit zu empfinden. Ich bin unauffällig, da ich mich als Teil der Szene sehe. Ich habe keine große Kamera dabei und auch nicht das Ziel, alles Wichtige und Imposante festzuhalten. Mir geht es eher darum, dass etwas bleibt. Ich versuche sehr dezent zu arbeiten und keinem zu nahe zu treten. Dazu wähle ich oft Details als Motiv, die sich nur im Zusammenhang erschließen.

Wo siehst du den Unterschied in Handlungsweisen und Stimmungen, wenn der Rave illegal ist?

Interessante Frage! Grundsätzlich ist eine andere Motivation der Veranstalter*innen zu bemerken. Clubs müssen wirtschaftlich denken, darum halten sie an bestehenden Konzepten fest. Ihnen sind durch hohe Auflagen, zum Beispiel Brandschutzbestimmungen, oft die Hände gebunden und ihr kreativer Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt. Dies sieht man auch in der Coronazeit. Clubs sind die, die sehr stark drunter leiden und reihenweise die Pforten schließen müssen. Illegale Raves sind meist unkommerziell und haben viel mehr Freiheiten. Dafür haben sie mit anderen Bürden zu kämpfen. Der Abend kann nicht durchgeplant werden und ist voller Überraschungen. Natürlich gibt es aber auch Veranstaltungen in öffentlichen Locations, die mit viel Liebe zum Detail organisiert werden. Doch mir ist aufgefallen, dass die lokalen Clubs teilweise nur durch große Bookings viele Besucher*innen anziehen. Die lokalen Künstler finden dort – je nach Club – oft keine Möglichkeit, ihr Können unter Beweis zu stellen.

Sehen die Veranstalter*innen und Besucher*innen das Verschwinden von der Bildfläche eher als Marginalisierung und Verdrängung durch das gesellschaftliche System oder eher als eine bewusste, freudige Strategie?

Die Frage lässt sich nicht so leicht beantworten, da es auch unterschiedliche Raves im Ruhrpott gibt. Die meisten sind sehr friedlich und gemeinschaftlich. Neue Leute finden schnell Zugang und sind willkommen. In Clubs haben viele Besucher*innen häufiger mit Diskriminierungen zu kämpfen. Oft fühlt man*frau sich sehr machtlos, wenn man*frau Hilfe braucht. Ich schätze dieses familiäre Umfeld bei illegalen Raves sehr und ich glaube das geht vielen so. Ob es eine bewusste Marginalisierung ist? Vielleicht. Aber auf jeden Fall bieten diese Veranstaltungen Freiräume, die man sonst oft vermisst.

Geht es dir bei den Fotos um eine Form von Dokumentation im Sinne von Erhalt des Vergänglichen im Rave? Das Erlebte beim Rave und die Offlocations sind ja zeitlich begrenzt.

Mir ist nicht so wichtig, dass es exzellente Bilder werden. Oft sind die Verhältnisse mehr als schwierig zum Fotografieren. Es soll das Gefühl der Freiheit und die Dynamik einer solchen Nacht beleuchtet werden. Es ist auch eine persönliche Wahrnehmung, die manche vielleicht auch anders empfinden. Teilweise ist es wie ein Traum, der – wie Strobolicht – kurz eine Szenerie sichtbar werden lässt. Es ist ein bisschen so wie mit einer Handylampe durch ein Waldstück zu laufen. Das große Ganze bleibt einem verborgen, aber die Details geben einem im Kontext viele Informationen.

In einem anderen Interview beschreibst du, dass du einen Rave mitfühlen lassen möchtest. Welche Gefühle meinst du im Besonderen?

Jeder, der einen solchen Rave besucht hat, weiß, wie verrückt und unstrukturiert eine solche Nacht abläuft. Es ist für jeden eine persönliche Erfahrung und es ist schwierig ein grundlegendes Gefühl zu thematisieren. Die Betrachter meiner Fotos sehen flüchtige Momentaufnahmen, die einem das Gefühl geben dabei zu sein oder zumindest eine solche Nacht auch einmal durchlebt zu haben. Es ist ein Gefühl von grenzenloser Harmonie, die kurzzeitig erwacht.

Empfindest du deine Bilder selber als teilweise melancholisch?

Oft versuche ich dieser Frage etwas auszuweichen. Meine Fotos sind farblich sehr homogen. Anders als bei kommerziellen Fotografien, die die breite Masse ansprechen sollen, versuche ich Authentizität durch meine eigenen ästhetischen Ansprüche herzustellen. Für Viele mögen meine Bilder dadurch jedoch trist wirken. Man kann vielleicht auch eine Verbindung zur musikalischen Ebene ziehen. Harmonien funktionieren nur durch Disharmonien. Eine durchweg positive Stimmung würde der Atmosphäre nicht gerecht werden.

Dein Werk – und auch die kommenden Projekte – sind von Ambivalenzen wie das Leben selbst durchzogen. Gilt es diese auszuhalten oder ist Raven und die Kunst mit der Möglichkeit der utopischen Überwindung deiner Meinung nach ausgestattet?

Ich habe bei den Raves viele Menschen persönlich kennenlernen dürfen. Die Motivation mag verschieden sein. Einerseits kann man es als Alltagsflucht ansehen, um einen freien Kopf zu bekommen. Andererseits kommen gerade bei Gesprächen, spät in der Nacht, große soziale und politische Probleme zu Tage, die viel Verarbeitung brauchen. Solche Themen werden gerade im Alltag verdrängt und wollen von der Gesellschaft nicht gehört werden. Ähnliche Probleme hatte ich bei der Kuration meiner Arbeit. Ich habe mir große Gedanken um die Außenwirkung gemacht. Welche Gedanken lösen meine Bilder aus und zeigen sie zu intime Momente meines sozialen Umfeldes? Ich möchte diese Intimität schützen und nicht preisgeben. Andererseits möchte ich meine Gedanken und Erfahrungen teilen. Es ist kein bloßes Feiern.

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„Raven“ ist direkt beim Autoren zu beziehen, über seine Mailadresse oder über seinen Instagram-Account.

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Constantin Grolig (rechts) und Steffen Korthals

Constantin Grolig (geb. 1992), studiert Fotografie an der FH Dortmund. 2017 wurde Grolig für seine Arbeit „Louise“ mit dem Preis „Podest“ ausgezeichnet. 2018 stellte er im Dortmunder Projektspeicher Fotos des Dortmunder Hafens als subkulturellen Raum aus. 2020 veröffentlichte er das Fotobuch „Raven“ mit Bildern illegaler Raves im Ruhrgebiet. In einer Ausstellung wurden seine Fotos 2020 mit Begleitprogramm in einer Offlocation gezeigt. Zurzeit arbeitet er an Fotos von illegalen Raves während Corona. Ein weiteres Projekt von Grolig ist es, Afterhours und den Tag nach dem Rave in Aufnahmen darzustellen.

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