Buchrezension: Kochen am offenen Herzen von Max StroheIm Schlangenlinien-Kurs in die Sternegastronomie
18.10.2022 • Kultur – Text: Jan-Peter WulfMax Strohe ist Gourmet-Koch, tritt im TV auf, ist Mitbetreiber des erfolgreichen Sternerestaurants „tulus lotrek“ in Berlin und trägt das Bundesverdienstkreuz. Das klingt einigermaßen solide – doch sein Weg dorthin war alles andere als vorgezeichnet. Nun hat er ein Buch über sein junges Leben geschrieben, das zugleich ein spannender Einblick in den irren Maschinenraum der Gastronomie ist.
„Iiiimpfstoooof!“ An den lauten Ruf aus der Küche erinnere ich mich gut. Es war Max Strohes Antwort auf meine Frage, was er und seine Partnerin und „tulus lotrek“-Gastgeberin Ilona Scholl sich wünschen. Das Interview für das Portrait fand am Telefon statt, weil es war Lockdown Nummer eins und das Restaurant mit seiner kleinen Küche in der Fichtestraße in Kreuzberg Zentrale der Charity-Aktion „Kochen für Helden“, die hier ihren Ursprung hatte und der sich Gastronom:innen in ganz Deutschland anschlossen. Eine selbstlose Initiative mitten in der für die Branche so schwierigen Situation, für die Scholl und Strohe 2021 das Bundesverdienstkreuz erhielten.
Nun hat Strohe ein Buch über sein Leben veröffentlicht. Es endet jedoch nicht mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, nicht mit Kochen für Helden, nicht mit dem Stern, den sein Restaurant 2017 erhielt, selbst der Name „tulus lotrek“ taucht nirgends auf. Das Buch endet einige Jahre früher, nämlich als Strohe in Berlin ankommt. Ein Mittagessen bei Tim Raue, der für ihn ein Vorbild ist, sowie ein ausschweifendes Dinner mit dem Vater beim legendären Helmut Thieltges bildet den Schluss. Raue wuchs bekanntlich in West-Berlin auf, war in einer Kreuzberger Gang, landete dann in einer Küche im Grunewald und entdeckte seine Passion für die Welt der Aromen. Same but different bei Strohe: Aufgewachsen in der Provinz in Rheinland-Pfalz, großgezogen von der Mutter in einfachen Verhältnissen, den Vater lernte er erst spät kennen und dann ging es mit diesem, einem dandyesken Antiquitäten- und Kunstkenner, nach New York. Dekadent essen. Nur vom Feinsten. Und viel. Ein Kulturschock für den erfolglosen Schüler, der beim zweiten Sitzenbleiben in der achten Klasse runter musste.
So geht es das ganze Buch und somit Strohes ganze Biografie hindurch: ein Wandeln bzw. Wanken zwischen den Extremen. Gillardeau-Austern und Gewürzketchup, bestes Fleisch und Formvorderschinken, teures Koks und billiges Speed, Analogkäse und Analverkehr – in sein munteres Sexualleben, ob zu zweit, zu dritt oder solo, lässt Strohe mitunter tief blicken. Zwischenzeitlicher Ausbildungsabbruch, eine zweite Chance im „Hohenzollern“ in Ahrweiler, wo er seine Liebe zum Kochen fand, dann aber nicht etwa nächste Station Spitzenrestaurant, wie man vermuten könnte, sondern Care-Catering in einem Altersheim (die Beschreibung der dortigen Figuren, sensationell) und über Umwege nach Nürnberg ins Alex. Dort krempelt er einen Betrieb um und macht ihn extrem wirtschaftlich, muss aber selbst teils im Gebüsch übernachten, weil ihm das Geld fehlt. Auch wenn er dieses wie vieles fast emotionslos schildert, im isso-Modus: Das Buch reißt mit, es entertaint, entsetzt und erotisiert. Die detaillierten Beschreibungen der Speisepläne, ob Franchise-Frühstück oder Gourmet-Gastro, sind großes Kino:
„Wollüstig reiben wir uns die Hände, sind bereit zu sündigen und bekennen uns sehenden Auges zur Völlerei. Wir bestellen zur Vorspeise zweimal die getrüffelte Roulade von Périgord-Gänsestopfleber mit Feigenconfit und dazu zwei Gläser Sauternes. Dann eine Délice vom Taschenkrebs mit grünem Apfel und Staudensellerie, das sei herrlich lecker, schön leicht und würde uns erfrischen, sagt der Vater. Als dritten Gang nehmen wir bretonischen Hummer auf winterlicher Gemüsemelange mit Kalamansi-Marinade. Zum Hauptgang bestellt der Vater die Brust von der Étouffée-Taube mit gebratener Entenstopfleber und Rouennaiser Sauce, und ich entscheide mich für ein Entrecôte mit Nadelböhnchen und Kartoffel-Parmesan-Püree. Hinterher nähmen wir gerne noch zweimal eine sehr großzügige Portion des Kalbsbries Facon Rossini, mit schwarzem Wintertrüffel aus dem Périgord, gebratener Foie gras und Macaroni-Charlotte.“
Aber auch so:
„Tiefkühl-Fischfilets werden nach der Bestellung in warmem Wasser reanimiert, der Laie würde sagen: „aufgetaut“, mehliert und dann in Bierteig ausgebacken und mit Sauce tartare gereicht. Sogenannte – Obacht, schwieriges Wort – Röstiecken (ebenfalls gefroren gekauft) dienen als – Achtung, schlimmes Wort – Sättigungsbeilage. Beilagensalat. Gurke in Essig-Öl und gerebeltem Dill. Karotte, vierkantgerieben, mit Orangensaft und Salz und Zucker. Bunte Blattsalate in Hausdressing aus Mayonnaise, getrockneten Kräutern der Provence, Maggi, einer beachtlichen Menge Kristallzucker und dem Gewürz H-Milch. Schellfisch in Senfrahmsauce mit Kartoffelpüree aus der Tüte. Beilagensalat. Hausgemachter Räucherlachs, schon wieder diese Röstiecken, Honig-Dill-Senf-Sauce und Sahnemeerrettich. Salatbouquet in Hausdressing.“
„Kochen am offenen Herzen“ ist ein selten so gelesener Querschnitt durch eine irre Branche mit schrägen und spannenden Menschen, die sich darin herumtreiben. Aus all diesen bunten Figuren, deren Weg sich mit Strohes kreuzt, sticht eine Person heraus, die weniger paradiesvogelhaft daher kommt: Ludger Volkermann, der damalige Betreiber des „Hohenzollern“, 2018 verstorben. Der Geschäftsmann hilft Strohe gleich zweimal aus der Patsche – einmal während der Ausbildung, die er hier fortsetzte, und ein zweites Mal, als Strohe in seiner Wohnung zu verwahrlosen drohte.
Anekdote zum Schluss: Im Berliner „Dussmann Kulturhaus“, wo Strohe einst einen Gault Millau zockte, weil keine Kohle zum Kaufen, liegt heute sein eigenes Buch aufmerksamkeitsstark platziert im Entree. So kann’s kommen.