„Wir wollen da raus!“Ein Bericht vom LaGeSo in Berlin

LaGeSo Zeltlager Altimage

Juliane Schubert hat einfach gehandelt. „Ich besitze einige Häuser in Berlin und eine der Wohnungen dort stand gerade leer. Warum also nicht an eine Flüchtlingsfamilie vermieten?“, fragte sie sich.

Dann ging alles ganz schnell. Schubert wandte sich an das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) und bat um Informationen. Das EJF ist vom Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem so genannten LaGeSo, beauftragt, Flüchtlingen dabei zu helfen, eigene Wohnungen zu finden und zu mieten. Eine syrische Familie? „Na klar, wir waren uns gleich sympathisch“, sagt Schubert. Also Mietvertrag vereinbart, unterschrieben und dann der Einzug in die schöne große Zwei-Zimmer-Wohnung. Die muslimische Familie hat sich gut eingelebt und bereits etliche Kontakte zu Nachbarn aufbauen können.

Über solche Erfolgsgeschichten freut sich Friederike Subklew-Sehume. In ihrem Büro auf dem LaGeSo-Gelände in Berlin-Moabit rufen täglich Vermieter an und fragen nach den Bedingungen einer Vermietung von Wohnraum für Flüchtlinge. Aber auch die Flüchtlinge selbst bewerben sich. Die Sozialarbeiterin stellt die nötigen Kontakte her. Ein Familienvater erzählt in gebrochenem Englisch: „Wir leben seit Monaten in einem Flüchtlingsheim. Dort ist es unerträglich überbelegt. Wir wollen da raus.“ Flüchtlinge können sich drei Monate nach der Erstaufnahme für eine eigene Wohnung in der Hauptstadt bewerben. Falls sie einen Vermieter finden, zahlt das LaGeSo die Miete, später kommt das Job-Center für die Kosten auf. Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften seien angewiesen, Wohnungen an Flüchtlinge zu vermieten, erzählt die Sozialarbeiterin vom EJF. Sie selbst recherchiert täglich, ob freie Wohnungen irgendwo angeboten werden, stellt Kontakte zwischen Flüchtlingen und Vermietern her und organisiert eine ehrenamtliche Begleitung für die Besichtigungen. „Nicht immer kommt ein Mietvertrag zustande, aber immer öfter“, erklärt Subklew-Sehume.

Wenn die Flüchtlinge in der nicht enden wollenden Warteschlange auf dem LaGeSo-Gelände stehen und auf ihre Registrierung warten, wissen die allermeisten gar nichts über solche Hilfen. Andere Migranten, die schon länger in Berlin leben, stehen ihnen manchmal als Dolmetscher zur Seite. Auch die Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschule Paulo Freire sind dabei. Die angehenden Sozialassistenten haben ihren Lehrplan umgekrempelt und bieten im Rahmen ihrer Ausbildung Flüchtlingen Hilfe an. Die Schule befindet sich praktischerweise auf dem Gelände. Die jungen Frauen und Männer, die hier ausgebildet werden, haben alle einen Migrationshintergrund, viele sind selbst als Flüchtlinge nach Berlin gekommen.

Die 19-jährige Amina zum Beispiel kam vor zehn Jahren mit ihren Eltern aus Tschetschenien. Oder Nadia. Die 17-Jährige ist Palästinenserin. Sie alle wissen aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, fremd, nicht immer willkommen und ausgegrenzt zu sein. Nun gehen sie auf die Flüchtlinge zu, sprechen sie in ihrer Sprache an, geben Hinweise, wo es eine ärztliche Versorgung auf dem Gelände gibt, wo Babynahrung, Kleidung oder Schlafsäcke verteilt werden. Amina spricht russisch, Nadia arabisch. „Die Leute freuen sich total, wenn sie in ihrer Muttersprache angesprochen werden“, sagen die beiden jungen Frauen. Die Paulo-Freire-Schule hat sogar zum islamischen Opferfest Ende September auf dem Gelände ein kleines Fest veranstaltet. Es gab Musik, Tanz und Süßigkeiten. Eine willkommene Abwechslung für die Flüchtlinge in all dem Chaos.

Denn fast täglich gibt es hier Konflikte bis hin zu Prügeleien, die Polizei muss immer wieder einschreiten. „Die Menschen kippen einfach um. Sie müssen dann ärztlich behandelt werden“, erzählt Sascha, ein junger Freiwilliger, der vor dem provisorischen ärztlichen Zentrum versucht, die Übersicht zu behalten. In der Schlange der Wartenden: vor allem Frauen mit ihren Kindern. Die Strapazen der Flucht machen sich bemerkbar: „Ich habe viel Schmerz in mein Bauch“, sagt eine junge Frau. Dann zeigt sie auf ihren linken Arm. „Auch Schmerz.“ Verschiedene Ärzte arbeiten hier ehrenamtlich im Auftrag der Berliner Caritas. Nicht selten rufen sie den Rettungsdienst, weil ein stationärer Klinik-Aufenthalt nötig ist. Ein kurzes Gespräch mit der Reporterin? „Leider keine Zeit.“ Nebenan die Versorgungszelte. Der Berliner Vivantes-Konzern liefert die Lebensmittel, die Initiative „Moabit Hilft!“ organisiert die Verteilung. Matthias, ein junger Freiwilliger winkt die Menschen ins Zelt. „Welcome“, sagt er – viele hundert Male am Tag. Aber sitzen bleiben, ein bisschen reden vielleicht? „Geht nicht“, sagt Matthias und weist auf die Schlange der Wartenden. Welcome in Berlin.

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