„Es gibt wenig Solidarität unter muslimischen Frauen“Autorin Sineb El Masrar im Interview über ihr neues Buch und die Emanzipation der Muslima
8.3.2016 • Gesellschaft – Interview: Monika HerrmannEine junge Muslima schreibt ein Buch und kritisiert darin ihre eigene Community, ihre Glaubensschwestern ganz besonders. Grund: „Weil sie das unterdrückerische System der Männer im Islam einfach übernehmen und akzeptieren“. Sineb El Masrar fordert Muslimas auf, darüber nachzudenken – und sich schließlich zu wehren. Schonungslos benennt sie die Gewaltstrukturen im Islam, die schon durch bloße Akzeptanz seitens der Frauen gefördert werden. Die problematische Folge: Viele von ihnen schließen sich radikalen Gruppen an. Auch in Deutschland. DAS FILTER-Autorin Monika Herrmann traf sich bereits einmal mit der Autorin, sprach mit ihr über das letzte Buch „Muslim Girls“. Damals betonte Sineb El Masrar das Angehören und Ausüben der Religion als einen Akt der Freiheit. Mit ihrem jetzigen Buch – so scheint es – will sie dafür sorgen, dass das auch so bleibt.
In Ihrem Buch reden Sie Klartext und kritisieren nicht nur die Männer im Islam, sondern auch das Verhalten der Frauen. Haben Sie nicht Angst, dass Sie sich damit viele Feinde machen?
Nein, überhaupt nicht. Ich stelle ja keine Behauptungen auf, sondern belege Tatsachen. Also das, was wirklich passiert – Punkt. Wie die Akteure das dann wahrnehmen, wird man sehen.
Es geht im Buch knallhart gegen muslimische Männer, die keine Scheu haben, Gewalt gegen Frauen auszuüben. Viele lassen sich das auch gefallen. Was läuft da eigentlich?
Das frage ich mich natürlich auch. Aber es gibt bei vielen Muslimas soziale Zwänge, Abhängigkeiten und wenig Selbstbewusstsein. Anders sind diese teilweise debilen und unterwürfigen Positionen der Frauen nicht zu erklären.
Es gibt Muslimas, die diese Unterdrückung nicht mitmachen, die sich wehren. Haben sie gar keinen Einfluss auf ihre Schwestern, die anders ticken?
Das Problem: Es gibt wenig Solidarität unter muslimischen Frauen. Aber das ist wie in der Frauenbewegung insgesamt. Selbst unter Feministinnen ist Frau sich keineswegs immer einig. Bei muslimischen Frauen ist das nicht anders. Ihr sozialer Hintergrund spielt oft eine große Rolle.
Im Buch heißt es, dass viele muslimische Männer der Meinung sind, dass Gewalt zum Islam gehört, eben auch Gewalt gegen Frauen. Die Männer begründen das mit Inhalten im Koran.
Diesen Schwachsinn geben die Herren tatsächlich von sich. Wir sollten allerdings fragen, warum sie den Koran so interpretieren. Was liegt da vielleicht auch psychisch bei ihnen im Argen, in der Erziehung, in der Sozialisation? Wie war die Beziehung zur Mutter in der eigenen Familie? Ich glaube da liegt der Hund begraben. In diese Richtung müssen die Fragen gestellt werden: Warum sind diese Männer wie sie sind, und warum folgen bestimmte junge Frauen diesen Verhaltensweisen?
Sie sagen, dass selbst gebildete Frauen, oft nicht den Mut haben, sich zu wehren. Auch jene, die in Westeuropa, in Deutschland aufgewachsen sind, übernehmen vielfach die Vorgaben der Männer.
So ist es. Viele Frauen wünschen sich Anerkennung von Männern. Aber: Wenn ihnen ein Mann sagt, sie sollen das und das machen, weil Allah sie bei Verweigerung verfluchen würde, dann frage ich mich schon, warum diese Frauen nicht an die Quellen ihrer Religion herangehen. Dort würden sie diese Drohung nämlich nicht finden. Aber die meisten Frauen forschen nicht nach und vertrauen einer falschen Sicht der Männer, die sich zwar als Tradition durchgesetzt hat, aber deshalb nicht unhinterfragt bleiben muss.
Es gibt eine Stelle im Koran, die das Schlagen der Frauen erlaubt.
Ja, aber Koranverse sind manchmal auch widersprüchlich und interpretierbar. Im Koran wird auch dazu aufgefordert, den Verstand, den wir von Gott bekommen haben, zu benutzen. Interessant ist nun, dass bestimmte Männer und Gelehrte im Islam zu den Schlussfolgerungen kommen, Frauen kontrollieren und unterdrücken zu dürfen. Interessant ist auch, dass andere Gelehrte, die viel frauenfreundlicher waren und sind, gerne ignoriert oder sogar angegriffen werden.
Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln haben dazu geführt, dass von einem sehr radikalen Islamverständnis im arabischen Raum gesprochen wird. Männer mit diesen Wurzeln stehen mit ihrem frauenfeindlichen Verhalten besonders in der Kritik.
Frauenrechte sind nicht in allen arabischen Staaten selbstverständlich. Besonders schwierig ist es in Afghanistan, Pakistan oder in Saudi Arabien. In Marokko gab es vor vielen Jahren eine Reform des Familienstands-Gesetzes. Im Moment wird dort das Erbrecht reformiert. Hintergrund: Frauen sollen mehr Rechte bekommen. Das zeigt, dass in einigen Ländern auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation der Frauen stattfindet. Aber es braucht Zeit, bis dieses Denken auch in jede Ecke durchdringt. Die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Zustände in diesen Ländern sind einfach nicht mit europäischen Verhältnissen zu vergleichen.
Stimmt mein Eindruck, dass nach den Silvesterereignissen in Köln über Männergewalt und Frauenunterdrückung auch in der muslimischen Welt mehr und kritischer geredet wird, vielleicht auch mutiger?
Viele Muslime haben immer schon die religiös begründete Gewalt innerhalb des Islam kritisiert. Was in Köln passierte, hängt jetzt nicht unbedingt mit der Religion der Männer zusammen. Diese Männer haben das getan, weil sie ohnehin respektlos mit Frauen umgehen, vielleicht unter Drogen- und Alkoholeinfluss standen. Das war einfach eine sehr aggressive Truppe von Männern. Man kann dann natürlich fragen, ob es eine Legitimation für solches Verhalten im Islam gibt.
Und – gibt es die?
Natürlich nicht. Doch es gibt Prediger oder Gelehrte, die sagen: Wenn eine Frau zu später Stunde rausgeht und sich nicht verhüllt, darf sie sich nicht wundern, dass sie angegriffen und belästigt wird. Ich sage da: Stopp, selbst eine Frau, die nackt rausgehen würde, ist nicht einfach verfügbar.
Auch in Flüchtlingsunterkünften gibt es Übergriffe. Frauen werden von Männern angemacht, sexuell belästigt. Es heißt, die vielen allein reisenden jungen Männer toben sich jetzt aus.
Ich behaupte, dass diese Männer auch in ihren Herkunftsländern Frauen belästigen und erniedrigen. Das gibt es dort überall und zu jeder Stunde. Hierzulande ebenso, nur oftmals nicht so plump. Man muss mit solchen Männern ernsthaft sprechen, ihr Verhalten verurteilen. Auch die muslimische Gemeinschaft muss sich damit auseinandersetzen. Wichtig ist mir zu sagen: Ja, es gibt diese Männer. Die tun das, weil sie keinen Respekt vor Frauen haben. Aber es gibt eben auch eine sehr große Zahl von muslimischen Männern, die das verurteilen und sich umgehend dagegen positionieren, wenn sie so etwas mitbekommen. Ich differenziere da, was nicht bedeutet, die Schieflage zu verschweigen. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben. Und mir war auch wichtig, im Buch Namen zu nennen, damit nicht wieder alle Muslime über einen Kamm geschert werden.
Was können und sollten die Islamverbände tun, die es in Deutschland gibt?
Ehrlich gesagt erwarte ich nicht viel von ihnen. Ich finde, die Verbände stecken Muslime eher in ein zwanghaftes Korsett, das sie an der Integration hindert. Sie wollen nicht das Verbindende, sondern eher das Trennende. Es ist aus meiner Sicht auch nicht hilfreich, sie in die Integrationsarbeit mit Flüchtlingen einzubinden. Ich bin der Meinung, dass die Islamverbände sich selbst erst finden und integrieren müssen, bevor sie andere integrieren. Sie verbreiten ein Islamverständnis, das genau das Gegenteil von Versöhnung, Pluralismus, Integration und Demokratie ist. Sie verbreiten einen Islam, der zum großen Teil nicht nur konservativ, sondern auch islamistisch und salafistisch ist.
Sie informieren im Buch auch über die Muslim-Schwestern, die mit den radikalen Muslim-Brüdern zusammenarbeiten. Was geht da ab?
Sie verbreiten gemeinsam mit den Männern ein radikales Islamverständnis. In Deutschland sympathisieren viele von ihnen oft unbewusst mit dieser Ideologie, weil sie auf der Suche nach Identität sind. Frauen verhüllen sich mit der so genannten Niqab. Problematisch ist aber, dass ihre islamistischen Positionen nicht immer offengelegt werden und deshalb oft unkritisiert bleiben. In unserer deutschen Gesellschaft gibt es da viel Aufklärungsbedarf. Denn inzwischen konvertieren ja auch Nicht-Muslime zum Salafismus und sympathisieren gleichzeitig mit den Rechtspopulisten.
Deshalb vergleichen sie im Buch den Nationalsozialismus mit dem Salafismus und dem Dschihadismus. Ziemlich gewagt. Welche Parallelen sehen Sie?
Es gibt im Salafismus und Dschihadismus einen sehr starken Antisemitismus, übrigens auch bei der Muslimbruderschaft, und damit eine Erscheinung, die es auch bei den Nazis gab und bei den heutigen Rechten gibt. Ihr gemeinsames Motto: Man muss Feindbilder aufbauen, um sich über andere zu erhöhen und um Menschen zu mobilisieren. Faschistoides Gedankengut – eindeutig. Aber man muss das benennen. Wir leben in einer Demokratie, wo Pluralismus und Religionsfreiheit, aber auch die Freiheit nicht religiös zu sein, gewährleistet sein muss. Wenn man das als ein Problem nicht darstellt, dann hat unsere Gesamtgesellschaft ein Problem.
Bedeutet das, dass Pegida-Anhänger und AFD-Mitglieder den Salafisten sehr nahe stehen?
Gewissermaßen ja. Es gibt viele Muslime, die die AFD-Positionen zu Familie, Medien und Erziehung eigentlich gut finden und sie auch wählen und unterstützen würden, wenn sie nicht so Anti-Islam wären. Sie finden ihr Familienmodell gut, aber auch den Aufruf zur Schließung der Grenzen. Sie sind gemeinsam gegen Homosexualität und bevorzugen alte konservative Rollenmodelle. Der Salafismus ist ja an sich rassistisch, weil er sagt, wir haben das einzig richtige Islamverständnis. Alle anderen Rechtsschulen im Islam lehnen die Salafisten ab.
Ein ziemliches Horrorbild. Wie wird die Zukunft aussehen? Droht ein Religionskrieg?
Ich will keine Panik verbreiten. Aber die Dinge, die im Buch nachzulesen sind, müssen einfach offengelegt werden – um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Auch die Muslime. Die meisten von ihnen wollen ja einfach nur gute Gläubige sein. Viele Akteure missbrauchen das. Ich will deutlich machen: Hier gibt es ein Problem und darüber müssen wir reden. Wenn wir uns alle damit auseinandersetzen, wird es auch keinen Religionskrieg geben. Wir dürfen einfach keine Angst davor haben, alles zu hinterfragen. Wenn wir nicht hinterfragen, schützen wir die, die nichts Gutes wollen.
Sineb El Masrar, Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden, Herder, 320 Seiten, 24,99 €