Als wir klein waren, dachten wir: Wer über Musik schreibt, hört den ganzen Tag Musik. Stimmt leider nicht ganz. Vieles fällt unter den Tisch, Hypes werden verpennt oder die Bucketlist mit Platten, die man sich schon immer anhören wollte, wird immer länger. Das soll sich ändern. Unsere Redakteure stellen ihr Walkman-Futter für die arbeitsfreien Tage vor. Da darf gerne auch mal was Seltsames, Altes oder Peinliches dabei sein.
Sebadoh - Bakesale
Ji-Hun: Ich komme grad aus diesem Retro-Ding nicht mehr raus. Was nicht alles vor 20 Jahren passiert, wie viel Zeit vergangen ist und wie historisch doch all jene Dinge geworden sind, die man damals als junger Teenager ganz unbedarft und unreflektiert gehört bzw. miterlebt hat. Man stellt aber auch fest, dass nicht alles Gold war, was damals gefeiert wurde. Kurz, da war eine Menge Schrott darunter … Eine Platte allerdings, die ich mir seit langer Zeit wieder anhören will, ist „Bakesale“ von Sebadoh, diese großartige Indie-Band um Lou Barlow, der auch bei Dinosaur Jr. Bass gespielt hat. Und witzigerweise heute vor genau 20 Jahren, am 23. August 1994 also, kam Bakesale auf Sub Pop heraus. Dem Label aus Seattle, das einige Jahre zuvor die Grunge-Welle mit Nirvana an vorderster Front losgetreten hat und nach dem Suizid von Kurt Cobain im Frühjahr des selben Jahres eine erste große Sinnkrise überwinden musste. Da kam Bakesale gerade recht. Es hat pathetisch gesagt, die Indie-Musik gerettet. Es hat bewiesen, dass Rock-Trios nicht im Nirvana-Schwarzloch eingesogen werden müssen, dass es irgendwie weiter geht. Ohne Metal, dafür mit Folk. Wie fantastisch damals die Riffs von Songs wie „Careful“ gewesen sind und man auf einmal auch eine Band haben wollte. Wenn mir jetzt nur noch einfallen würde, wem ich damals meine CD verliehen und nie zurückbekommen habe.
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New Order - Brotherhood
Thaddeus: New Order sind immer dann am besten, wenn die Songs gut und die Produktion hingerotzt ist. Das war in der Karriere der Band viel zu selten der Fall, 1986 aber, zum Album Brotherhood, eine Punktlandung par excellence. Es muss einiges los gewesen sein bei Sumner, Hook und Co. Die schleifige schlechte Laune von Joy Division: weg. Das Schlagzeug: besonders laut, die Bassdrum mit unerreichtem Punch. Die Songs: alle auswendig gelernt. An Sumners schlechten Falsett kommt jeder Schulhof locker ran. Man nennt das wohl Power Pop. Der hatte so viel Power, dass es die gesammelten hektischen Bewegungen der Tontechniker am Mischpult alle auf die Platte geschafft haben. Rein, raus, what's next!? Und dann ist da „Bizarre Love Triangle“, dieses Stück in Indie gegossene House-Elegie.
Beide Genres waren ja noch nicht erfunden, entsprechend lautmalerisch die Legenden, die man sich noch heute auf der Oldham Street in Manchester ins Ohr raunt, bevor man in die Dry Bar auf einen Pint geht und mitsingt: But that's the way that it goes, and it's what nobody knows, well every day my confusion grows. Und dann kommen die Piano-Chords und ich will nur zappeln und heulen. Nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Es ist einer dieser Songs. Auch sonst gibt es auf Brotherhood ein bisschen Techno-Rock, aber der Rock ist entscheidend. Später mal gab es dieses Video der Band zu einem Schmuse-House-Track, wo sie eine Heavy Metal Band gaben. Mit Perücken. Auf diese Platte hier hätte das viel besser gepasst. Und niemand hätte es ihnen übel genommen. Ich bestimmt nicht. 1986 fand ich das zwar schon fies, aber es gab Fieseres. Und dann kommt da dieses letzte Stück - „Every Little Counts“ -, in dem sich Sumners halb totlacht und die Frau, die er ansingt, irgendwie als Pig bezeichnet und man genau weiß, dass er schon ordentlich einen drin hat und man in Manchester eben solche Witze macht und das auch gar nicht böse gemeint ist. So ist das eben im Norden. Und dann kommen die Engel aus der digitale Zauberkiste. Und die Platte ist vorbei. Wir aber, wir singen noch immer. Und hören im Fadeout noch, wie sich Bassist Hook fürchterlich verspielt und dann das Studio im kakophonischen Sonnenuntergang explodiert.
Vor ein paar Jahren saß ich mit der Band in einer Berliner Suite und gemeinsam schauten wir auf den Dom. Und Sumners sah die ganze Zeit so aus, als könnte er den Moment nicht abwarten, bis er endlich wieder einen drin hat und von Schweinen singen kann. Einige Dinge ändern sich eben nie. Every Little Counts.
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FKA Twigs - LP1
Benedikt: Nach den beiden EPs waren die Erwartungen an das Album ja geradezu gigantisch, obwohl „LP1“ das Debüt ist. Enttäuscht hat FKA Twigs mit Sicherheit niemanden, hat aber auch keiner geglaubt. Die Platte läuft bei mir rauf und runter und daran wird sich in den kommenden Tagen nichts ändern. Die Single „Two Weeks“ haben wir hier ja bereits vorgestellt. Twigs zarte, butterweiche Stimme über ausgefeilten und vielschichtigen Beats von Produzenten wie Dev Hynes (Blood Orange) und Clams Casino: Es klappert, knistert und rasselt nonstop, es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken. Ein Album, das leise und laut funktioniert, aber auf völlig unterschiedliche Art und Weise.
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